Man sollte einfach nicht aus dem Fenster schauen.
Was gibt es da schon zu sehen, wenn man seinen Urlaub in einem Hotel in Cefalu an der Nordküste Siziliens verbringt?
Und das Fenster auf der meerabgewandten Seite nur den Blick auf die hoteleigenen Müllcontainer freigibt.

Wir waren mit Freunden nach Catania geflogen, hatten uns zu viert, einen Teil des Gepäcks auf dem Schoß, in einen viel zu kleinen Mietwagen gequetscht und waren mal quer durch die Insel nach Cefalu kutschiert.

Das Hotel entsprach etwa unseren Vorstellungen und wir standen nur vor einem Problem: Die Zimmerverteilung.
Das Los entschied und wir hatten das Glück, das Zimmer mit Meerblick belegen zu können, unsere Freunde blickten dagegen auf den Parkplatz.

Noch waren wir Freunde, wenngleich ich glaubte, darüber eine leichte Verstimmung zu bemerken.
Aber gelost ist gelost.
Gerechter kann eine Entscheidung nicht sein.
Und zudem verbrachten wir unsere Tage ja nicht im Hotelzimmer, dazu ist Sizilien zu groß und wir wollten einiges sehen.

So trafen wir uns also meist abends, bevor es zum Dinner ging, kurz in unserem Zimmer zum gemeinschaftlichen Abmarsch und warfen dabei auch einen Blick auf den Swimmingpool.

Und auf das Tyrrhenische Meer, das direkt zu unseren Füßen an den Strand plätscherte.

Wenn der Blick, was sich nicht vermeiden ließ, in die Ferne schweifte, glaubten wir im sommerlichen Dunst, von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne angestrahlt, einige Inseln zu erkennen.

Musste dort nicht Stromboli liegen?
Ein Inselvulkan mit einer Feuerrutsche?
Der vor allem nachts bestiegen werden musste um dieses alle Stunden stattfindende Schauspiel genießen zu können, wenn die Explosion dieses Vulkans Eruptivmaterial in die Höhe schleuderte, immer in die gleiche Richtung und die Lava sich den Weg ins Meer bahnte.
Völlig gefahrlos für den Betrachter.
Für den vorsichtigen Betrachter.
Ich versuchte in den nächsten Tagen, bevor es zu Bett ging, durch angestrengtes Ausspähen das Glühen dieses Vulkans zu beobachten, aber entweder waren meine Augen zu schwach, 25 Kilometer Luftlinie sind nicht ohne, oder schon zu sehr vom vino rosso beeinträchtigt, jedenfalls konnte ich keinen Feuerschein übers Meer leuchten sehen.
Und welche der Inseln nun wirklich der Stromboli war, wer konnte das schon ohne Kartenmaterial feststellen?

Für die erste Woche Urlaub hatten wir noch das Bedürfnis zu entspannen.

Ein wenig am Strand herum liegen oder durch das reizende Städtchen Cefalu bummeln.

Eine Granita schlecken oder einen Cappuccino zu Füßen des beeindruckenden Normannendoms schlürfen.

Aber dann wars vorüber.
Mit dem beschaulichen Teil unseres Inselurlaubs.
Schließlich hatten wir den Mietwagen für 14 Tage bezahlt.

Und von Millazzo aus sollte der Fährverkehr zu den Äolischen Inseln organisiert sein.
Was Odysseus nur in schwierigen Segelmanövern gelang – oder misslang -das sollte uns in einem Tagesausflug möglich sein.
Auf welcher Insel wir landen würden, war uns nicht genauer bekannt, aber bei diesem strahlend blauen Meer, vom Himmel gar nicht zu sprechen, könnten wir jede Art von Ausflug als eine <Blaue Reise> ausgeben.
So landeten wir auf Vulkano.

Vulkano gehört zum Archipel der Äolischen Inseln oder auch Liparischen Inseln genannt, die nördlich von Sizilien im Tyrrhenischen Meer liegen.
20 Kilometer hatten wir mit dem Schnellboot zurückgelegt und waren auf dieser südlichsten Insel des Archipels ausgestiegen, genauer gesagt in Vulcano Porte.
Unser Blick schweifte automatisch in die Höhe, denn zwei Drittel der Insel nimmt dieser Vulkan ein, der mit seinem Namen allen ähnlichen Feuerbergen der Welt seine Nomenklatur vererbte.
Zwischen 300 und 400 Metern erhebt sich die Hochfläche seiner Caldera über den Meeresspiegel und an seinem östlichen Rand der Monte Aria mit 500 Metern der höchste Punkt der Insel.
Diese Teile der Insel sind aber seit geraumer Zeit erloschen, nur der Lentia-Komplex entstand in den letzten 10 000 Jahren und befindet sich zur Zeit in einem sogenannten Fumarolen- Stadium, 391 Meter hoch und <Fossa> genannt.

Dieser Ort zog uns magisch an, da wollten wir hinauf, trotz sommerlichen Temperaturen des August’s.
Mit einem plötzlichen Ausbruch mussten wir nicht rechnen, der letzte fand 1888/89 statt, gewaltige Blöcke auswerfend, gefolgt von Ascheregen.
Zeitzeuge beschrieben den Ausbruch sehr genau und als Vergleich musste die Eisenbahn herhalten.
“ Man hörte ein fortwährendes Rollen, als wenn ein Eisenzug über eine Brücke führe“.
Die Spalten in der Kraterwand waren rot glühend und im Dunkeln konnte man dort bläuliche und grün gesäumte Flammen von dem an der Luft entzündeten Schwefelwasserstoff und den glühenden Borsäuredämpfen erkennen. (Wickipedia)
Davon wollten wir uns persönlich überzeugen und wir bogen auf den einzigen Serpentinenpfad ein, der zum Gipfel führt.
40 Grad Lufttemperatur und 40 Grad Steigung machen es uns nicht einfach.

Einfach dagegen machten es sich mal wieder städtische Wegelagerer.
Wie könnte es in Italien anders sein, als sich auf halbem Weg niederzulassen, ein Tischchen vor sich hin stellend, eine blaue Metallkassette draufstellend, um Eintritt zu verlangen.
Das macht man in Italien grundsätzlich nie am Eingang oder Einstieg zu einer Sehenswürdigkeit, der Tourist könnte dann ja vielleicht nein sagen, sich lieber wieder in seiner Hängematte niederlassen und dann hätte man kein Geld eingenommen.
Nach einer Stunde Quälerei kehrt niemand mehr um.
Also wird bezahlt, auch wir fragen uns für was?
Da ist kein Weg ausgebaut, da steht kein Toilettenhäuschen, da wartet keine Rotkreuzstation auf einen eventuell verletzten Bergsteiger.
Nicht aufregen, denn das beschleunigt den Puls und das können wir bei der Kraxelei jetzt überhaupt nicht brauchen, zumal das Atmen jetzt besser nur mit geschlossenem Mund stattfinden sollte.

Denn es stinkt gewaltig.
Beißend scharf.
Schwefelwasserstoff.
Aus vielen Löchern und Spalten dringt er aus, ist aber bei diesem trockenen und heißen Wetter schwer zu erkennen.
Allerdings bemerke ich, dass das Objektiv meiner Kamera immer beschlagen ist, zurückzuführen auf den quantitativ hohen Anteil an Wasserdampf.
Etwa 5000 Kubikmeter pro Stunde entfleuchen durch die Fumarolen.
Wir entfleuchen auf die windabgewandte Seite und graben ein wenig nach Mineralien wie Schwefel und Salmiak. Graugelber bröseliger Stein, an vielen Stellen weiß leuchtend, an anderen wieder deutlich eisenrot schimmernd.

Aber die Nähe zur Erde ist nicht besonders lustig, wir steigen lieber nochmals einige Meter auf der windabgewandten Seite hinauf und genießen den Ausblick über den schmalen Meeresarm, auf dessen anderer Seite ein weiterer Krater einen beachtlichen Nebenschauplatz vor einigen tausend Jahren hinterlassen hat.

Schwarzgraue Lapilli überwiegen und machen das Aufwärtsklettern schwierig nach der Devise <ein Schritt hinauf und zwei hinunter>, bis wir auf der anderen Seite des Kraters angekommen sind und in der Ferne den Stroboli aufragen sehen.
Schade, dass wir ihn nur aus der Ferne sehen, aber ein Tagesausflug ist hierfür zu kurz.

In den Kratertrichter hinabsteigen trauen wir uns nicht, denn dort sammeln sich die Gase in hoher Konzentration an.
Lebensmüde sind wir nicht, aber mal in die Nähe einer Gasaustrittstelle wagen wir uns.
Gefährlich ist das für uns hier oben nicht, denn der Wind verdünnt das Gas schnell.
Das Einatmen der vulkanischen Gase stellt aber generell eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar.
In kurzen Hosen halten wir das aber nicht lange aus und zudem wundere ich mich, weshalb sich meine Gummischuhsohle plötzlich so schwammig anfühlt.
Bis zu 400 Grad sind bei einigen Fumarolen normal und automatisch fange ich an, mir die Beine zu vertreten, man will ja schließlich nicht ankleben.
Ein bisschen tanzen kann nicht schaden.
Tanzen auf dem Vulkan.

<Tanz auf dem Vulkan> ist eine Filmproduktion aus dem Jahre 1938, die überhaupt nichts mit diesem geologischen Phänomen zu tun hat.
Der Titel beschreibt das Lebensgefühl und die gesellschaftliche Situation in den Jahren ab 1920, vor allem in Berlin.
Der Film lebt zu einem wesentlichen Teil von seiner Musik.
Bekannt sind sicher dem Leser die Lieder <Die Nacht ist nicht zum Schlafen da>,<Du hast Glück bei den Fraun> und durch Zarah Leander bekannt geworden <Nur nicht aus Liebe weinen>.
Weinen muss ich nicht, aber meine Augen vertragen jetzt die säuerlichen Gase nicht mehr, sie jucken und brennen und ich komme mit dem Reinigen meiner Fotoapparatlinse nicht mehr nach.

Man wird es einigen meiner Fotos später ansehen.
Jetzt im gleißenden Sonnenlicht kann ich die Qualität meiner Digis auf dem Minibildschirm sowieso nicht überprüfen.
Irgendwann später werde ich lesen, dass diese Gase so aggressiv sind, dass darunter sogar Edelstahl angegriffen wird.
Angegriffen fühle ich mich nicht, aber beinahe über den Haufen gefahren.

Da bahnt sich hinter uns doch tatsächlich ein Verrückter mit lautem Klingeln auf einem Fahrrad sitzend den Weg hinunter vom Vulkan.
Von wegen Mountainbike, das ist ein ganz normales Herrenfahrrad, geeignet für die Einkaufsfahrt zum Bäcker.
Na ja, runter kommen sie bekanntlich alle, aber wie hinauf?
Ein Rätsel, das wir nicht mehr lösen werden, denn in einer Art Höllenfahrt ist er in wenigen Minuten am Fuß des Vulkans und daher nicht mehr zu befragen.

Der Hedonismus, der Hang zum Extremen in präkarer Lage, gehörte ja zur Weimarer Republik, dass ich aber den geflügelten Worten vom „Tanz auf dem Vulkan“ hier begegnen würde, damit hatte ich wahrlich nicht gerechnet.

Ziemlich schlapp erreichen wir wieder den Ausgangspunkt unserer Vulkanbesteigung.
Souvenirshops bieten Schwefelbrocken zum Verkauf an.
Schwefel wurde hier viele Jahre lang von Häftlingen unter erbärmlichen Umständen abgebaut.
Ja, wir plündern sie aus, unsere gute Erde und so singt Udo Jürgens in einem weniger bekannten Lied auch vom Tanz auf dem Vulkan:
…dafür raucht der Schornstein, die Kurse ziehn an
Willkommen beim Tanz auf dem Vulkan!
Noch einmal Vollgas Freunde, noch hält er es aus, der Planet!
Noch einmal Party und Champagner, denn bald ist es zu spät.
……
Unsere Beine sind eingestaubt, die Originalfarbe der Schuhe nicht mehr zu erkennen.
Wir sollten uns ein wenig frisch machen.
Dazu queren wir das sogenannte <Tote Feld> in Richtung Strand.
Zwischen 1913 und 1916 hatte hier die Fumarolentätigkeit so zugenommen, dass alle vorhanden Pflanzen der Hitze und den giftigen Gasen weichen mussten.
Im Flachwasserbereich, wo die Gase direkt in das Meerwasser ausströmen, tummeln sich übermütig ein paar Teenager, ich würde sagen eher junge Erwachsene.

Und im Grundwasserschlammpool der Rest der Touristen.
Obwohl es eigentlich hier unten windstill und das Baden in diesem Fangotümpel damit nicht ungefährlich ist.
Aber wahrscheinlich hat sich keiner darüber kundig gemacht und findet es besonders lustig, sich den gelbbraunen Schlamm am ganzen Körper zu verreiben.
Der Tümpel ist entstanden, als AGIP hier eine Bohrung durchführte, um die Dampfquellen zur Energieerzeugung zu nutzen, der Vulkan sich aber dagegen kräftig wehrte und mit Eruptionen aus dem Bohrloch antwortete.
Man erhofft sich natürlich vom Bad in dem 35 bis 52 Grad heißen Schlamm Heilung von Rheumatismus, Arthritis und Hautkrankheiten.
Aber weil in dem Fangotümpel kein Wasseraustausch stattfindet, sammeln sich hier seit zig Jahren Stoffe menschlicher Herkunft wie Urin, Hautschuppen und Haare.
Ne, da müssen wir nicht rein.
Staubig machten wir uns auf die Suche nach einer Pizzeria.
Wir wollten uns über einem gebändigten Mini-Vulkan eine Pizza Vulkano – feurig heiß und richtig scharf – backen lassen.
Neueste Meeresbodenvermessungen haben ergeben, dass der größte Vulkan Europas hier bei den Liparischen Inseln liegt, allerdings nicht sichtbar ist. Sein Gipfel endet 500 Meter unter der Meeresoberfläche und reicht weit über 3000 Meter tief auf den Meeresboden.
Man hat ihm den Namen <Marsili> gegeben.