Wir werden uns wieder finden.
Da bin ich mir sicher.
Aber jetzt sind wir getrennt.
Unsere Kaufinteressen waren wieder einmal zu verschieden.
Während ich an den Zeitschriftenstand dachte, an geistige Nahrung und mich deshalb dort probeblätternd in die neue Gala vertiefte, hatte meine Frau mehr unsere täglichen Grundbedürfnisse im Blick.
Essen.
Reis, süßsauer eingelegtes Hühnchen, irgendwelche Sprossen, Eier .
Banalitäten!
Und weil wir wieder zur Großfamilie geworden sind, in zwei Jahren es zu nun beinahe vier Enkeln gebracht haben, kann sie das ganze Futter für die hungrigen Mäuler nicht alleine nach Hause schleppen.
Wäre für sie viel zu schwer.
Und deshalb ist meine Begleitung in den Supermarkt angesagt.
Tja, und da verlieren wir uns manchmal – ach was sage ich, beinahe regelmäßig- aus den Augen.
Haben Sie schon mal versucht, eine verlorengegangene Person zwischen all den Regalen eines Supermarktes wieder zu finden?
Schwierig, da schauen Sie sich die Augen aus dem Kopf.
Also mit diesem Sinn dauert das zu lange.
Aber Sie haben ja noch vier andere Sinne.
Und einer davon ist hervorragend dazu geeignet, den verschollenen Ehepartner wieder zu finden.
Nicht dass Sie jetzt glauben, ich würde durch den ganzen Supermarkt nach meiner Liebsten rufen, nein das ist nicht nötig, wir haben uns über die Jahre einen Familienpfiff zugelegt.
Sehr dezent, aber gut hörbar im Geräusche-Chaos eines Supermarktes.
Es hat einige Jahre gedauert, bis wir diesen unverwechselbaren Ortungspfiff zur vollkommenen Reife entwickelt haben, unverkennbar und bis unsere damals noch kleinen Kinder erkannt hatten, dass sie in solch einem Fall sich doch besser am Gehorsam eines Hundes, der den Pfiff seines Herrchens vernimmt, ein Beispiel nehmen sollten.
Heute klappt das ziemlich gut.
Mit Hilfe des Pfiffes finden wir uns in jedem unwegsamen Aldi- oder Lidl-Gelände wieder.
Nun hat uns erst dieser Tage eines unserer groß gewordenen Kinder gefragt, ob wir diese Melodie selbst kreiert hätten?
Die Melodie sei so eindringlich, so unverwechselbar.
Das löste bei mir und bei meiner Frau ungläubiges Staunen aus.
Kannte die junge Generation diese Melodie wirklich nicht mehr?
Zi-Ziii-zi zi zi zizzi ziiii.
Also wäre ich Ornithologe wäre mir die Wiedergabe der Melodie in Pfeifsprache sicher besser gelungen, aber so?
Nein, es ist nicht der Sportpalastwalzer und auch nicht die leicht erkennbare Kleine Nachtmusik.
Uns erschien der River Kwai Marsch als unverwechselbarer Familienpfiff die beste Lösung, um sich schnell wiederzufinden.

Und jetzt stehen wir am Ostufer dieses Flusses in Thailand, stehen an der Eisenbahnbrücke, die über den River Kwai führt und blinzeln gen Westen.

Vor unserem inneren Auge und natürlich mit unserem Filmohr hören wir die Melodie dieses Filmklassikers, den keines (!) unserer erwachsenen Kinder kannte und den wir deshalb zu Bildungszwecken an einem lauen Sommerabend vor unserer Abreise nach Thailand in unserem Innenhoffreilichttheater per Beamer an die Hauswand geworfen hatten.

Die ungekürzte Fassung auf zwei DVD’s, ein prachtvolles Beispiel dafür, dass die Dramatik der alten Filme die junge Generation nicht unbedingt fassungslos auf die Bildleinwand starren lässt, nein, ich habs genau gesehen, manches Augenlid kämpfte krampfhaft mit gewissen Ermüdungserscheinungen.

Na ja, beinahe drei Stunden im bequemen Liegestuhl, da will man mal nicht so schnell ein Urteil fällen.
Ein Urteil wurde bei der Oskarverleihung 1958 gefällt, ach was heißt hier ein Urteil, es waren derer acht.
Bester Film, beste Regie, bester Hauptdarsteller, bestes Drehbuch, beste Kamera, bester Schnitt, bester Nebendarsteller und eben beste Musik.
Wobei dieser gepfiffene Marsch beim Einzug der britischen Gefangenen nach getaner Zwangsarbeit in das japanische Lager eigentlich nicht der River Kwai Marsch ist.
Nein, das weltberühmte Marschlied heißt „Colonel Bogey March“.
Aber bevor ich jetzt wieder zum Besserwisser abqualifiziert werde, berichte ich lieber von unserem Tagesausflug an jenen berühmten Ort, der allerdings nicht identisch ist mit dem Filmort, denn dieser wurde damals nach Sri Lanka verlegt.
Ehemals Ceylon – damals britische Kolonie.
Die Brücke hier bei der kleinen umtriebigen Stadt Kanchanaburi über den Mae Nam Khwae Yai ist allerdings die Originalbrücke.
Nein, stimmt so auch wieder nicht.
Zuerst bauten die britischen Kriegsgefangenen eine Holzbrücke, fünf Monate später direkt nebenan eine Eisenbrücke, die beide aber in den Kriegshandlungen zerstört wurden.
Nur die Eisenbrücke wurde bereits 1946 wieder errichtet.
Und an deren östlichem Brückenkopf steht man, wenn der Reiseführer seine Kleingruppe hierher führt.
Schön zusammenbleiben.
Der Zug fährt nach Belieben ab und die Sorge, dass er einen dieser neugierigen Touristen verlieren könnte, ist dem guten Mann ins Gesicht geschrieben.
Zumal ich heute etwas unter den 42 Grad Celsius und der 100 prozentigen Luftfeuchtigkeit schwächle.
Ich gebe es zu.
Heute wird kein Held mehr aus mir.
Früh aufstehen, kein Frühstück, das sind nicht die besten Voraussetzungen für einen schönen Tag.
Und von den paar Flaschen chinesischen Biers gestern Abend auf der Khao San Road ganz zu schweigen.
Gottseidank habe ich kein Zahnweh, denn als ich die museal aufgebaute Krankenstation aus den Kriegsjahren betrachte, wird mir klar, dass ich damals wahrscheinlich nicht zu den Überlebenden gezählt hätte.
240 000 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter wurden bei den Arbeiten zum Bau der Eisenbahnlinie eingesetzt, etwa 100 000 verloren dabei ihr Leben, darunter etwa 16 000 alliierte Kriegsgefangene.
Einen der Sodatenfriedhöfe besichtigen wir, sind uns aber einig, dass wir keines der geschmacklosen Erinnerungsprodukte erwerben, die uns an jeder Straßenecke zum Kauf angeboten werden.
Wir wagen uns einige Meter weit auf den Gleisen balancierend hinaus bis zum ersten Brückenpfeiler – das macht dort jeder – werden aber bald von einer japanischen Reisegruppe , die wild um sich knipsend den nahenden Zug beinahe zum Stillstand bringt, eingeholt und beinahe überrannt.
Wir eilen zurück, zumal der einfahrende Zug der unsrige zu sein scheint, mit dem wir die nächsten 50 Kilometer Richtung burmesische Grenze zurücklegen wollen.
Unser Guide trommelt uns zusammen, die Karten sind bereits gelöst und wir nehmen in der Holzklasse Platz.

Auch die gabs mal bei der deutschen Eisenbahn, aber daran werden sich unsere jugendlichen Reisebegleiter wahrscheinlich nicht erinnern.
Irgendwie sind sie auch gar nicht so an ihrer Umgebung interessiert, schliefen sie doch schon bei der Anreise im Kleinbus durchweg alle einen tiefen Schlaf und auch jetzt hängen die ersten bereits wieder in der Abteilecke und ignorieren die wunderschöne Fahrt durch den Dschungel immer entlang dieses berühmten Flusses.
Na ja, die Nächte in Bangkok können sehr anstrengend sein, dann wird der Schlaf halt tagsüber nachgeholt.
Es sind junge Engländer.
Das Bier war billig und die Mädchen willig, da schlafft man tagsüber schon ein wenig ab.
Aber meine Frau ist hellwach und behauptet nach kurzem Studium, dass eines dieser Mädchen ein Ladyman sein müsse, sie könne dies anhand der Anatomie seiner / ihrer Hände und Füße eindeutig belegen.
Ich besitze dafür kein geschultes Auge und bin ausschließlich bemüht aus diesem wackligen Kasten heraus ein paar brauchbare Fotos der Landschaft zu machen.
Na ja, umwerfend sind die Fotos nicht geworden, aber im Kampf gegen das Umgeworfenwerden kann man nicht mehr erwarten.
Natürlich habe ich keine Zibetkatze, keinen Tiger, keine Königskobra und keinen Python , keine Gibbons auf die Festplatte gebannt, aber das muss an dieser verdammten Schaukelei gelegen haben, denn wir sind nun bereits im Erewan Nationalpark und hier sollen diese Tiere alle heimisch sein.
Der Westen Thailands entlang der burmesischen Grenze war lange Zeit von Schmugglerbanden kontrolliert und zählte so als wilder Westen Thailands.
Heute locken die abwechslungsreiche bergige Landschaft, die ausgedehnten Stauseen und die mächtigen Wasserfälle vor allem am Wochenende Massen von Thais aus dem doch recht nahen Bangkok an.
Ein Glück, wir sind an einem Werktag unterwegs und stellen fest, dass wir uns fernab des großen Touristenstroms bewegen.
Im Zugabteil sind wir so gut wie allein und die fehlende Airkondition wird durch den Fahrtwind, der durchs geöffnete Fenster hereinweht, ersetzt.
Verhungern werden wir auch nicht müssen, denn nichts tun Thais lieber als während der Fahrt sich den Angeboten von fahrenden Händlern zuzuwenden.
Wir schließen uns an.
An manchen Stellen können wir den Kopf so weit aus dem Fenster hängen, dass wir das Gleisbett – oder jedenfalls so etwas mit diesem Namen – sehen können.
Vielleicht verdient die Bahn auch heute noch die Namensgebung als Death-Railway.
Immer wieder schieben sich in unser Blickfeld Hausboote, die sich anmieten lassen und auf denen man mehrere Tage lang sich den River hinabtreiben lassen kann.
An exponierten Stellen haben sich Resorts angesiedelt, so das River Kwai Cabin Resort oder das stylische Designhotel X2Riverkwai .
Schauen Sie mal im Internet nach, Sie werden Augen machen.
Irgendwann erreichen wir unsere Bahn- Endstation mit dem unaussprechlichen Namen Goamahamongkol.
Nur wenige Schritte bis zu unserem vorbestellten Restaurant und schon widmen wir uns wieder einmal dem Essen.
Fried rice mit sweetsour chicken, bean sprout and egg.
Köstlich !!
Mit vollem Mund kann man ja bekanntlich nicht pfeifen, aber dieses Mahl unter schattenspenden Bäumen am Ufer des in der Sonne glitzernden River Kwae Yoi wird in meinen Gehirnwindungen unauslöschlich mit dem “Colonel Bogey March“ eine Synapse eingehen.
Da bin ich mir sicher.
Dieser Beitrag basiert auf den Erlebnissen einer Thailand-Reise im Jahr 2008