Natürlich hatten auch wir schon davon geträumt.
Von einem Urlaub auf einer Insel.
Auf einer einsamen Insel.
Sehr einsam.
Auf der Mainau und auf der Reichenau waren wir schon mal.
In den Sommerferien war da nix mit Einsamkeit angesagt.
Aber wo gibt’s die noch?
Die ganz einsamen, abgelegenen Inseln?
Einsame Inseln sind nur noch in Inselwitzen oder Insel-Cartoons zu entdecken.
Als Fletcher Christian – kennen Sie Ihn? – nach langer Segelei eine einsame Insel fand, war er sich sicher, dass ihn hier die Marine seiner königlichen britischen Majestät nicht finden würde.
5000 Kilometer bis Neuseeland, 5700 Kilometer bis Südamerika, mitten im Pazifischen Ozean und auf keiner Seekarte eingezeichnet.
Sie mussten wohl drei Tage mit den Wellen kämpfen, bis es ihnen endlich gelang, unfallfrei an den Felsen anzulegen.
Das war schon mal das erste Manko.
Kein Sandstrand rundum.
Steile abfallende Felsen, keine Küstenebene.
Allerdings einige Süßwasserquellen und Kokospalmen soweit das Auge, sein Auge, reichte.
Das musste genügen.
Sie waren sich sicher, sie verbrannten ihr Segelschiff, es sollte kein Zurückkommen möglich sein.
Auf ihre Tat, eine Meuterei, stand die Todesstrafe.
Das machte ihnen diese Entscheidung leichter.
9 Seemänner waren sie, jeder hatte eine Polynesierin als sogenannte Ehefrau dabei, die sie begleitenden sechs Polynesier teilten sich weitere drei Frauen untereinander auf.
Ja, es sollte ein paradiesisches Leben auf dieser Insel werden, die damals keinen Namen hatte und erst viel später zu Ehren eines Entdeckers „Pitcairn“ getauft wurde.
Jetzt, so etwa um die neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts, glaubten sie, dass das der absolut sicherste Platz vor ihren Verfolgern abgeben würde, ein geeigneter Zufluchtsort für die Meuterer der Bounty.
Bald sollten sie untereinander Streit haben, bald brachten sie sich gegenseitig in die Hölle, den Himmel konnten sie ja nach ihrer frevelhaften Tat nicht mehr erwarten, auch Fletcher fand einen gewaltsamen Tod.
All das wurde durch den natürlichen Tod einer der Polynesierinnen ausgelöst, als man die Eigentumsverhältnisse an den Frauen neu ordnen musste.
Heute ist die Insel bewohnt, alle ihre Bewohner leben in Adamstown, benannt nach dem Namen des letzten Meuterers John Adams, der das Zusammenleben dieser hartgesottenen Männer überlebte.
Zuletzt lebte er alleine, zusammen mit 10 Polynesierinnen und 23 Kindern, auf dieser isolierten Insel.
Die britische Marine entdeckte ihn wohl nach jahrelangem Suchen, verzichtete aus mir unbekannten Gründen jedoch auf seine Verhaftung oder gar auf seine Hinrichtung.
Als im Jahre 1914 der Panama-Kanal eröffnet wurde, lag Pitcairn plötzlich genau auf der neuen Verbindung zwischen Südamerika und Australien.
Wöchentlich hielt jetzt ein Schiff an und bunkerte zumindest Trinkwasser.
Vorbei war es mit dem Unentdecktsein.
Und wir wollten jetzt eine ähnliche, uns bis vor kurzem noch unbekannte Insel entdecken.
Gut, eine Unterkunft wollten wir uns nicht selbst bauen müssen.
Kokoswasser allein würde auf die Dauer auch etwas schal schmecken, malariafrei sollte sie schon sein und Sandflöhe fanden wir aus Erfahrung gar nicht lustig.
Aber wir wollten sie mit dem Schiff erreichen, die Anreise auf eine richtige Insel muss auf dem Wasserweg erfolgen.
Wochenlang nach ihr zu suchen war nicht drin, in 14 Tagen war der Urlaub wieder zu Ende und wir hatten davon schon 4 Tage in Bangkok zugebracht.
4 Tage im Millionen-Trubel, nach denen wir wirklich inselreif waren.
Eigentlich entspricht das nicht unserem Naturell, so völlig planlos eine Fernbusstation im Osten Bangkoks aufzusuchen, genauer gesagt an der Ekkamai- Station.
Unser großes Gepäck hatten wir in unserer Unterkunft in Bangkok zurücklassen dürfen, in der Hoffnung, die Koffer auch später wieder vorzufinden.
Kleines Reisegepäck war angesagt, ein kurzes Gespräch mit der Dame am Fahrkartenschalter notwendig, sechs Euro pro Person war zu bezahlen und schon saßen wir in einem Überlandreisebus und verließen die Metropole Richtung Osten.
Wir hatten eine etwa siebenstündige Reise gebucht bis Trat, wollten dort auf die Fähre umsteigen und schließlich an unserem Sehnsuchtsort ankommen, auf der Elefanteninsel, auf Koh Chang, Thailands letzter Insel vor der kambodschanischen Grenze, die wir erst seit einigen Minuten kannten, die uns aber für unsere Inselträume sehr sympatisch schien, hatte sie doch keinen Flughafen, der Touristenströme anlockt.
Am Fahrkartenschalter hatten wir uns eine kleine Broschüre über dieses Eiland mitgenommen und konnten uns nun während der Busreise auf unseren Inselurlaub vorbereiten.
Leider war der Text in Thaischrift verfasst, der Informationsgewinn lag also nur bei den Bildchen.
Wasserfall, Elefantencamp, Sandstrand, Dschungelberge.
Wasser, Sand und Dschungel – genau das, was wir von einer richtigen Insel erwarteten.
Koh Chang, in unsere Sprache übersetzt: Elefanteninsel.
Der Reisebus war klimatisiert, halbleer und ein Bordsteward versorgte jeden Mitreisenden mit warmem Tee und Keksen.
Das war im Fahrpreis enthalten.
Am frühen Nachmittag konnten wir fröstelnd den tiefgekühlten Reisebus verlassen und an der nahe gelegenen Fährstation auf die Autofähre warten.
Klimawechsel: 40 Grad Celsius und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit, diesig grauer Himmel.
Ja, man sollte nicht im Juni nach Thailand reisen, wenn man bei diesen Klimabedingungen Kreislaufprobleme bekommt.
Am Horizont waren schemenhaft die Berge einer recht großen Landmasse zu erkennen, bald mussten wir erkennen, dass wir die einzigen Farangs waren, die da hinüber wollten und dass kein Mensch hier englisch sprach.
Neben dem Warten war also Hoffen angesagt, dass das schon alles irgendwie klappen würde.
Klappern würde, denn der ankommende Pott gab einige beängstigende Geräusche von sich, lag aber ziemlich eben auf dem Wasser, auch noch, als wir uns über die Reling beugten, um nach den Rettungsinseln und den Schwimmwesten Ausschau zu halten.
Ein einziges Auto wurde verladen, drei Mönche kostenfrei befördert und wir als Farangs skeptisch begutachtet.
Phh – Langnasen!
Die zu etwas gut sind, denn nach kurzer Passage rochen wir schon den tropischen Inselduft.
Noah ließ ja bekanntlich eine Taube aufsteigen, um Land zu orten, uns reichten unsere langen Nasen, um die Würze eines tropischen Regenwalds zu schnuppern.
Ein kleiner Pier erlaubte uns das Anlandgehen, freundlich begrüßt von einem Hinweisschild :
Khoh Chang welcome.
Und jetzt?
Rucksack geschultert und dann?
Wo, wie, was, wann, alles Fragen auf die uns niemand eine Antwort geben konnte!
Also mal den anderen Passagieren nachgeschlappt.
Drei Pickups am Straßenrand, Ladeklappe runter, Gepäck hochgeworfen, schon saßen die Vorausgeeilten auf der Ladefläche und schauten uns erwartungsvoll an.
Also wir auch.
Gepäck hoch, absitzen am seitlichen Rand.
Los geht’s.
Wohin?
Keine Ahnung.
Was kostets?
Keine Ahnung.
Wo wollten wir aussteigen?
Keine Ahnung.
Die Straße ist eine rotschlammige Fahrspur, die steil bergauf oder bergab den topographischen Gegebenheiten der Insel sich angepasst hat.
Hoppala, ein Schlagloch.
Hoppala.
Bald setze ich mich auf meinen Rucksack, denn die Metallrippen der Ladefläche tun meinem Po nicht besonders gut.
Sollen wir jetzt aussteigen?
Nee , noch nicht.
Plötzlich Asphalt.
Kleine Hütten rechts und links der Straße.
Sollen wir aussteigen?
Nein, noch nicht.
Sagt mir mein Nachbar in Zeichensprache.
He, woher weiß der, wo ich hin will?
Da der Fahrer nicht anhält, hat sich das von alleine erledigt.
Das mit dem Absteigen.
Rotgeschlämmter Dschungelpfad, Schlagloch an Schlagloch mit Regenwasser gefüllt, ein unbeschreiblicher Duft um uns, gut, der Diesel tut auch etwas dazu, aber im wesentlich muss es sich um den Duft eines frisch beregneten Dschungels handeln.
Weiter – bergab, bergauf, stopp.
Die Herren klettern von der Pritsche und machen uns per Handzeichen deutlich, dass für uns die Zeit noch nicht gekommen sei.
Haben wir jetzt gerade eine Ortschaft passiert?
Na, der Fahrer wird schon wissen, wo wir hinwollen.
Uns selbst ist das noch nicht ganz klar, aber eine solche Entscheidung überlässt man am besten den Ortskundigen.
Jetzt geht’s aber bergauf.
Mannomann, pass auf, dass wir nicht von der Ladefläche runter rutschen.
Stopp, die Handbewegung sagt alles, weiter nimmt er uns nicht mit, Geld will er auch keins, also mal schnell abspringen und schon sind wir alleine.
Allerdings lese ich in verwaschener Schrift auf einem Hinweisschild, dass 200 Meter voraus der beste Aussichtspunkt der ganzen Insel liegen muss und die entsprechenden Backpacker-Bungalows gleich dahinter.
Wir schultern unser Gepäck und stürzen uns den Pfad bergab Richtung Meer.
Wir sehen es durch die Wipfel der tausend Kokospalmen, allerdings sehen wir auch, dass vom thailändischen Golfwasser heute nicht viel übrig ist, die Ebbe hat die Küste freigespült, tangüberzogene Felsbrocken versperren den Zugang zum Wellensaum.
Sandstrand erspähen wir keinen, allerdings hat uns ein Eingeborener entdeckt, der auf uns zustürmt, uns freundlich die Hand schüttelt, unser Gepäck an sich reißend, natürlich aus Hilfsbereitschaft.
So ein weitgereister Farang kann ja seinen kleinen Rucksack unmöglich selbst schleppen.
Hinter der zehntausendsten Kokospalme entdecken wir das Resort.
Einfache Basthütten, meist zwischen den Kokospalmen auf dem steil ansteigenden felsigen Gelände arrangiert, mutterseelen allein.
Genau das wollten wir.
Na ja, dass es kein Badezimmer gibt, dass es keine Toilette gibt, dass es keine Klimaanlage gibt, dass das Bett eine versiffte Minimatratze ist, dass das Meer mal zwischenzeitlich stundenlang weg ist und uns armwinkende Krabbentiere verfolgen, damit kann man ja leben, aber dass wir ganz alleine das weite Areal bewohnen sollen und uns auch noch die passende Hütte aussuchen können, das ist schlecht mit unserer Vorstellung über unseren Inselurlaub in Einklang zu bringen.
Wir würden uns wohler fühlen, wenn neben uns ein australisches Pärchen vielleicht laut ihrem Kofferradio lauschen würde, wenn ab und an ein einheimischer Strandverkäufer uns so nutzlose Dinge wie aus Kokosschalen gefertigte Seifenschalen anbieten würde, auch einem lautstarken Händel zwischen zwei total besoffenen Backpackers würden wir nichts Negatives abgewinnen.
Ich vermute jetzt auch das Schlimmste.
Wie meine Liebste bereits vor einigen Minuten geäußert hat.
Wie schnell ist man nachts überfallen, schreit laut um Hilfe und kein Schwein hört zu.
Zudem, der Besitzer der Anlage muss mit dem Fahrer des Lastentaxis unter einer Decke stecken, warum hat der uns so zielstrebig hier ausgesetzt?
Ausgerechnet hier!
Und für die Anreise kein Geld verlangt.
Von einem Farang kein Geld?
Das ist mir höchst verdächtig!
Ne, schnell weg.
So einfach geht das hier aber nicht, denn das Resort liegt in Steillage, in der Zwischenzeit hat es zu regnen angefangen und hunderte Schnecken kriechen mit uns den Berg hinauf.
Und jetzt, als wir leicht schlammverschmiert die Landstraße, wenn man sie so nennen darf, erreichen?
Keine Landkarte, keine Orientierung.
Also zurück.
Zu Fuß?
Den ganzen Weg?
Wäre ja kein Problem, wenn der tropische Nachmittagsregenguss, es ist Monsunzeit, die rote Erde nicht in Schlamm verwandeln würde.
Ich könnte mich ohrfeigen!
So bescheuert erkundigt man keine einsame Insel.
Zehn Minuten später ist der Guss vorüber, der Urwald dampft, unbekannte Vögel kreischen und wir stapfen am Wegrand entlang Richtung Sonnenuntergang.
Du hast hier keine Dämmerung, nein, hier wird’s blitzartig so gegen 18 Uhr dunkel, also mal ein bisschen Tempo zulegen.
Ich höre hinter uns ein Geräusch.
Das hört sich nach Diesel an, der auch tatsächlich wenige Sekunden später uns von hinten kommend überholen will.
Halt, Freundchen, so einfach geht das nicht.
Mein Beschützerinstinkt ist angeregt.
Unmöglich kann meine Liebste hier im Dschungel nächtigen, also mal mitten in den Weg gestellt und die Arme ausgebreitet.
Er hält.
Er hält freundlich lächelnd an und signalisiert uns, dass wir auf die Pritsche klettern können.
He, da sitzen ja schon zwei.
Und englisch sprechen die.
Ein Pärchen aus Amerika, das hier schon drei Tage lang die Insel erkundigt.
Wo sie wohnen?
Na, direkt am Strand.
Am White Sand Beach!
In einem kleinen Häuschen.
Ja, mit Toilette und Dusche.
Sehr schön!
Ob es da noch freie Häuschen hat?
Klar, ne ganze Menge.
Vielleicht nicht in der ersten Reihe direkt am Strand, aber gleich dahinter.
Oh, please, could we come with you?
Of course, no problem.
Als wir einige Zeit später unser neues Domizil beziehen, sind wir sicher, dass wir zumindest für diese Nacht, vom Plätschern der Meereswellen in einen tiefen Schlaf versetzt, nur Schönes träumen werden.
Nur das löchrige Moskitonetz sorgt dafür, dass wir in unserer ersten Inselnacht stündlich auf Schnakenjagd gehen.
Na ja, so eine Trauminsel kann einem halt nicht alles Erträumte bieten.
Die Reise nach Koh Chang unternahmen wir im Jahre 2007.
Koh Chang liegt etwa 320 Kilometer östlich von Bangkok im Golf von Thailand und ist die zweitgrößte Insel Thailands.
Die tollen Sandstrände liegen beinahe alle im Westen der Insel.
Das Inselinnere ist bergig, von echtem Dschungel bedeckt und nur durch Trampelpfade begehbar.
Die Insel hatte im Jahr 2007 keinen Flughafen.
Die Farangs waren an einer Hand abzuzählen.
Wer macht auch schon in der Monsunzeit Urlaub in Thailand?!