Weihnachten: Sei artig und mach‘ einen Diener

Ein Vanillekipferl, heimlich einige Wochen vor dem Fest auf der Zunge zergangen, kann ein ungeheueres vorweihnachtliches Panorama an Kindheitserinnerungen entfalten.

Es ist das Verbotene, die Erinnerung an das Verbotene, das mich in der Weihnachtszeit einholt, mich, dem doch alles erlaubt sein müsste und der dennoch das Gefühl hat, es sei nicht rechtens, jetzt schon, einige Tage vor Weihnachten, die Plätzchendosen zu öffnen und sich vor dem Fernseher mit einem Plätzchenteller auf dem Schoß einen gemütlichen Abend zu machen.

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Die Geheimnisse um die Vorweihnachtszeit gehörten zu unserem Kindsein und wurden auch viele Jahre später, als wir schon glaubten beinahe erwachsen zu sein, respektiert.

Ein Schrank, zu dem plötzlich der Schlüssel fehlte oder ein riesiger, graubraunkarierter Reisekoffer unter dem Bett unserer Eltern löste bei uns keine Fragen aus, sondern signalisierte uns stillschweigend, dass das Christkind an uns dachte.

Beinahe alles geschah heimlich, im Verborgenen, in der Dunkelheit eines Wohnzimmers, in dem damals noch nicht das kalte Licht eines Fernsehers flackerte.

Selbst wenn es an unserer Haustür klingelte und unsere Tante Lina Mutter sprechen wollte, vernahmen wir Kinder nur geheimnisvolles Getuschel, das uns aber verriet, dass Mutter wahrscheinlich einer langen Unterhose als Weihnachtsgeschenk von der lieben Tante zugestimmt hatte.

Das war natürlich zunächst nur eine Vermutung, aber die jährlich wiederkehrende Unterwäschebescherung hatte uns Kinder schnell auf diesen Gedanken konditioniert.

Auch wussten wir, dass damit ein Besuch bei Tante und Onkel verbunden war, bei dem wir uns artig für die tollen praktischen Wäscheteile bedanken würden.

Freudestrahlend sahen unsere Mienen dabei sicher nicht aus und dem nachmittäglichen Aufenthalt in der Guten Stube von Onkel und Tante blickten wir damals schon vor der eigentlichen Bescherung mit Entsetzen entgegen.

Unserem Vater muss dieser Nachmittag genauso grauenvoll vorgekommen sein, dennoch ließ er sich in dieser Hinsicht nichts vorwerfen und marschierte mit uns vier Kindern im Gefolge als Familienoberhaupt erhobenen Haupts an seinem Lieblingsgasthaus „Zum grünen Baum“ vorbei in den Südwesten unserer Heimatstadt.

Ganz toll hingegen waren die Geschenkpakete von Onkel und Tante aus dem fernen Pforzheim.

Sie waren wohl nicht besonders kindgerecht bestückt, aber wir wussten, dass Kaffee, Butter und andere Kolonialwaren unseren Lebensstandard zumindest für die Weihnachtszeit auf einen höheren Level heben würden.

Selbst für unseren Vater, dem eine Flasche Bier sicher lieber gewesen wäre, lag eine Mandarine im Päckchen.

Streit deswegen gab es keinen, wir waren Papa und Mama und vier Kinder, also lagen sechs Orangen im Paket und die wurden gerecht geteilt.

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Zum Bedanken mussten wir keinen Nachmittag opfern, uns nicht fein herausputzen um Danke-Schön zu sagen.

Nein, das übernahm unsere Mutter mit einem Dankesbrief an die weit entfernt wohnende Schwägerin.

Wir lebten damals in einem mehrere Jahrhundert alten Stadthaus und um zu unserer Wohnung zu gelangen, führte der Weg durch den dunklen Flur unserer Vermieterin, einem unverheiratet gebliebenen Fräulein.

Ja, so respektlos war die Zeit damals, dass selbst diese ältere Dame, eine pensionierte Lehrerin, mit Fräulein angesprochen wurde.

In ihrem riesigen, beinahe lichtlosen Flur stand ein großer Tisch und  ein Strauß Barbara-Zweige auf ihm, an dem bunt eingepackte Bonbons hingen, brachte Farbe in diese dunkle Ecke des Treppenhauses.

Am 1. Weihnachtstag, aus unerklärlichen Gründen war ich als erstgeborener Sohn ihr Patenkind, wurde ich meist in ihr Wohnzimmer gerufen und ich durfte ihre umfangreiche Briefmarkensammlung bestaunen und dort im Album, wo mehrere gleiche Marken hintereinander steckten, durfte ich manchmal sogar einige als Geschenk mit nach oben in unsere Wohnung nehmen.

Natürlich musste man sich auch dafür artig bedanken, ja nicht die Hände in die Hosentaschen stecken und bei Begrüßung und Verabschiedung einen <Diener> machen, dann konnte man damit rechnen, noch eine kleine Tüte selbstgemachte Quittenspeckle geschenkt zu bekommen.

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