Götter?
Ein zweiwöchiger Aufenthalt auf dieser Insel könnte die Frage nach Göttern durchaus mit ja beantworten.
Aber da würde ich jetzt zuviel von den Erkenntnissen meiner Inselerkundigung verraten.
Nein, jetzt soll das noch ein Geheimnis bleiben und erst später den Leser begeistern.
So wie Erich von Däniken in den 60 ern versuchte, den geheimnisvollen Besuch von Außerirdischen auf unserer Erde an den Mann, die Frau zu bringen.
Na, es ist ihm gelungen.
Etwas über 60 Millionen Bücher hat er bis zum heutigen Tag verkauft.
Ende der 60 er Jahre habe ich als Student mich ihm zuliebe stundenweise von der realen Wissenschaft eines Ingenieurstudiums abgewandt, seine Bücher mitgekauft und wie andere Millionen deutschsprachiger Leser, verschlungen.
Ich weiß es nicht mehr so ganz genau, aber ich war sogar auf einem seiner Vorträge.
Irgendetwas gefiel mir an seinen Vermutungen, nein, seinen angeblichen Beweisen.
Allerdings standen sie dann für beinahe fünf Jahrzehnte unerreichbar im obersten Fach meines Buchregals, sie staubten so vor sich hin, der Buchrücken und die Einbände vergilbten.
Das konnte leider kein Außerirdischer verhindern.
Als Reiselektüre hatte ich für unseren Urlaub auf Fehmarn andere Schmöcker dabei.
Aber, dies sei vorausgeschickt, zum Lesen kam ich nicht.
Die Insel hat die richtige Größe, um mit unseren Fahrrädern in jeden Winkel zu gelangen, der Frühsommer meinte es gut mit uns, kein Regentag zwang uns, eines der mitgenommenen Bücher aufzuschlagen.
Dass wir es mit zwei Arten von Göttern auf dieser Insel zu tun haben würden, hatten wir bei der Planung unserer Reise noch nicht beachtet, vielleicht hatten wir es auch nur im Reiseführer überlesen.
Im Westteil der Insel, etwa 5 Kilometer vom Strand entfernt, hatten wir ein wunderschönes Ferienhaus gemietet, mit martimen Assessoirs ausgestattet, für 8 Personen geeignet, aber die Türen von drei Schlafzimmern wurden von uns zweien gar nicht mal geöffnet.
Ich will unser erstes Abendessen nicht in den Himmel loben, aber Heringsfilet in Sahnesoße und dazu Bratkartoffeln, dazu ein kühles Pils, einfach göttlich.
Anfangs der Siebziger waren wir auf unserem ersten gemeinsamen Urlaub, der uns über Schweden, Norwegen nach Finnland und natürlich wieder zurück führen sollte, schon einmal hier in der Inselhauptstadt Burg und hatten in einem Lokal dieses maritim angehauchte Gericht genossen.
Wobei ich damals schon von meiner ersten Reise nach Fehmarn schwärmte, als ich ein Jüngling war, siebzehneinhalb Jahre alt und per Anhalter nach Schweden unterwegs.
Das war damals die angemessene Reiseart, um trotz chronischen Geldmangels einen Teil der weiten Welt erleben zu können.
Und da stand ich nachmittags am Fahrkartenschalter des Fährhafens in Puttgarten und studierte die Abfahrtspläne, als mich ein bildhübsches Mädchen von der Seite her anlächelte und mich schmalbrüstiges Bürschchen im breitesten Amerikanisch fragte, ob ich ihr einen Tipp geben könnte.
Barbara war ihr Name, der ihrer mitreisenden Freundin Genoveva, ihr Fahrzeug war ein kanariengelber, zweisitziger Sunbeam, natürlich mit Cabriodach.
Millionärstochter aus Norwich in Conneticut, auf Europarundreise.
Ich hab‘ sie vergöttert.
Auch wenn für mich in ihrem Sportwagen nur der Notsitz übrig blieb.
Fünf Tage verbrachte ich mit ihr in Kopenhagen, dann war mein bisschen Geld aufgebraucht, spielte ich mich doch als echter Kavalier auf, der natürlich für gewisse Kosten aufkam.
Man(n) konnte doch damals ein Mädchen nicht einfach so seine Getränke, das gemeinsame Essen, den Kinobesuch, den Besuch im Freizeitpark Tivoli selbst bezahlen lassen.
Dass sie Geld wie Heu hatte, ich wollte es nicht annehmen, man hatte seinen Stolz, damals.
Meine Weiterfahrt nach Schweden war also passe, die mühselige Tramperei nach Hause führte mich sonntags nach Fehmarn, wo ich einen Nachmittag lang an Fehmarns Südstrand lag und mir den fürchterlichsten Sonnenbrand meines Lebens holte.
Heute schwelge ich natürlich in diesen Erinnerungen, wobei ich wieder bei Dänikens Göttern wäre .
Gewissermaßen erlebe ich nun im Jahre 2018 all das, was er in einem seiner Bücher als „Erinnerung an die Zukunft“ beschrieb.
Also, ran an die Erinnerung mit Zukunft, aufs Fahrrad geschwungen und den Elektromotor gelobt, denn auf Fehmarn gibt es keinen gegenwindfreien Tag und ab an die Küste.
Die GÖTTER suchen.
Zunächst allerdings suchte ich in der Reiseapotheke nach Watte, um mir eines meiner Ohren zu verstopfen.
Ohrenweh durch Zugluft, nicht besonders angenehm.
Einen Gott im weißem Kittel wollte ich deswegen aber nicht belästigen.
Entlang der Westküste, immer auf dem Deich fahrend, brachte ein einfaches Hinweisschild uns in die Nähe des ersten Gotts auf Fehmarns Boden.
Zu einem Gitarrengott, göttlich spielte er die Elektrogitarre, wenn es ihm einfiel sogar mit den Zähnen, niemand bearbeitete damals die Saiten genialer, sozusagen göttlicher:
Jimmy Hendrix.
Ein Jahr nach Woodstock fand hier im September 1970 ein Love and Peace Festival statt, mit namhaften Gruppen und mit ihm.
Das Wetter allerdings war widerwärtig, die Organisation des Festivals stümperhaft, von einer gewissen Beate Uhse mitfinanziert, die aus Werbezwecken Kondome pfundweise ins Publikum warf.
Zeitzeugen allerdings sagten später, dass die Liebe viel zu kurz gekommen sei, das Wetter sei so affenkalt gewesen, dass deshalb vor allem die Mädchen nicht so richtig auf Touren gekommen seien, allerdings sei, und das wäre durchaus als Erfolg zu verzeichnen gewesen, die Hälfte der Besucher bekifft, dadurch dem himmlischen Gott ein wenig näher gewesen.
Nur dieser Gitarrengott auf Erden hatte keine richtige Lust für seinen Auftritt.
Verständlich, denn das Festivalgelände hatte sich unter den Tritten der Flowerpower-Generation in eine Matschwüste gewandelt.
Den ersten Termin trat er gar nicht an, es war ihm zu windig.
Verständlich, die Bühne war nichts mehr als eine Bretterbude und zwei völlig unterdimensionierte Lautsprecher hingen an langen Holzpfosten und krakeelten gegen den stürmischen Westwind an.
Für die Fahrt vom Hotel zum Matschgelände hatte er sich eine Luxuslimousine ausbedungen und als man ihm berichtete, das -zig Zelte auf dem Gelände aufgeschlagen waren, bestand er darauf, dass sie entfernt werden sollten.
Er fühlte sich dadurch an seine Jugendjahre erinnert, als er in Harlem im Zelt nächtigte.
Das hatte er jetzt nicht mehr nötig, er empfand es als Anmaßung, dass man ihm den Anblick eines Zeltes zumutete.
Und die Besucher bauten doch tatsächlich ihre Zelte ab.
Ja, so ist das mit den Göttern.
Ihren Wunsch sollte man befolgen.
Aber das alles war vergessen, als der Himmel am Montag ein Einsehen hatte und der Gitarrengott sein vielbejubeltes „Hey Joe“ singen konnte.
Zum letzten Mal in seinem kurzen Leben.
Einige Wochen später war er tot.
Davon sind auch Götter nicht gefeit, wenn sie sich die exotischsten Mixturen in die Adern laufen lassen.
Der Blick schweift weit über das Land, wir haben einen der Leuchttürme bestiegen und bestaunen die riesigen Felder.
Kleinbauern gibt es auf Fehrmarn nicht, Realteilung bei der Erbfolge unbekannt.
Ja, der liebe Gott hat es gut mit den Fehmarnern gemeint.
Obwohl, wir sehen im ganzen Land blaue Kreuze, gut, es sind eher zwei blaugestrichene gekreuzte Dachlatten, die beinahe vor jedem Haus am Straßenrand positioniert sind.
Nein, kein religiöses Symbol, der pure Protest, seit die deutsche und vor allem die dänische Regierung plant, mit einem neuen Tunnel Puttgarten und Rödby zu verbinden.
Die Verbindung Mitteleuropas mit den nordischen Ländern über die Fehmarnsundbrücke genügt nicht mehr den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts.
Da betet aber mancher Inselbewohner zu Gott, dass dieses Vorhaben nicht realisiert wird, dass alles so bleibt wie es ist.
Hier am Südstrand liegen wir für eine Stunde im Windschatten eines nicht angemieteten Strandkorbs, ergreifen aber die Flucht, als die Möwen immer zudringlicher werden und mir sogar mein Salamibrot aus der Hand klauen und es im Verteidigungsreflex in den feinkörnigen Sand fällt. Ungenießbar.
Der Hunger treibt uns hinter die beiden Hochhäuser, wo an diesem Wochenende ein grandioses Bullytreffen stattfindet.
Morgen werden Hunderte der Bullys in einer großen Schaufahrt die Insel umrunden.
Da werden wir in einem der Hofcafes sitzen, um den Hals ein Papierlätzchen und vor uns den größten Windbeutel, erdbeergefüllt und puderzuckerüberstäubt.
Jetzt ein windfreies Plätzchen hinter einem riesigen, roten Ostseegranitfindling, vielleicht auch am Niobe-Denkmal, das im Gedenken an die 69 ertrunkenen Seeleute des Schulschiffes „Niobe“ errichtet wurde.
1933 wars, so ist auch der eingemeißelte Spruch dieser Zeit geschuldet, als der Einzelne nichts, das Volk alles galt und ein Gott beim anschließenden millionenfachen Tod nur tatenlos zuschaute.
„Es ist nicht nötig, dass ich lebe, aber wichtig, dass ich meine Pflicht tue“
Unsere Fahrräder durch den strandnahen Sand zu schieben ist Schwerstarbeit, die garantiert am steinigen Strand endet mit der suchtartigen Sucherei nach Fehmarns berümtesten Gott, vielmehr nach seinen Göttern.
Kopf gebeugt, den Blick falkenartig auf die weißlichen Einbuchten an den Milliarden Steinen geheftet, finde ich in einer Stunde höchstens einen, meine Liebste zwanzig.
Hühnergötter.
Weniger prosaisch ausgedrückt: Steine mit einem Loch.
Ein Name, der in Pilawas Rätselquiz durchaus auftauchen könnte und dessen Herkunft rätselhaft bleibt.
Hühnergott auf Hühnergott wandert in ihre Anoraktasche.
Ich weiß nicht, wie sie das macht.
Ein Blick, ein Griff, ein Hühnergott.
Sie hats mit Fehmarns Göttern.