Die Erde ist klein.
Seit Astronauten sie aus dem All geknipst haben, finden wir sie eigentlich gar nicht mehr so riesig.
Und irgendwie scheint sie auch am Ende zu sein.
Wenn wir den Klimaforschern des Jahres 2015 glauben und unsere Hoffnung auf den soundsovielten Klimagipfel der Staatsmänner dieser Erde setzen.
Bis in den hintersten Winkel dieser Erde wollen Sie jetzt endlich dieses Problem lösen und sich deshalb zwei Tage in Paris treffen.
Und ein bisschen diskutieren.
Das muss reichen, um das Ende der Erde zu verhindern.
Das Ende zu verhindern ist schwierig, das Ende der Erde zu finden ist aber relativ einfach.
Auf der Landkarte.
Aber damit ist ein kartographisches Ende gemeint.
Einmal nach Frankreich in die Bretagne und schon bist du am Ende der Welt, im Departement Finisterre.
Dann mal schnell über den Ärmelkanal Richtung westlichste Landzunge in Cornwall und schon wieder Ende der Welt, hier nennt es der Brite Land’s end.
Nach Norwegen und du stehst am Nordkap wirklich am Ende der Welt, vor dir nur noch Wasser bis zum Nordpol.
Und darüber hinaus.
Wer den Jakobsweg in seiner gesamten Länge entlang pilgert, der macht nicht in Santiago de Compostella Schluss, nein, der reißt sich nochmal am Riemen und wandert ans Ende der Welt, ans Cap Finisterre an der Westküste Galiziens.
Hier, am eigentlichen Ende des Jakobsweges, verbrennt er seine gesamte Pilgerbekleidung.
Nun, das wäre heutzutage wahrscheinlich nicht notwendig, im Mittelalter war das aber der einfachste Weg, Läuse und Wanzen loszuwerden, immerhin benötigte man für den Rückweg nochmal so etwa ein Jahr Wanderzeit.
Heute sitzen die meisten Pilger in den funktionalsten Outdoortextilien auf dem Rückweg im Flugzeug.
So einfach ist es geworden, vom Ende der Welt wieder nach Hause zu kommen.
Halt, ich kenne noch ein anderes Ende der Welt, nämlich das Finisterre Gebirge im Nordosten von Papua Neuguinea.
Irgendeinem europäischen Eroberer muss damals kein anderer Name eingefallen sein.
Und nun ist mir und meiner Liebsten eingefallen, dass wir in der Nähe des Weltenendes gerade Urlaub machen.
In Llanca im Haus von Freunden an der Costa Brava.
Wir sind mit dem Auto angereist und nach einer Woche Liegezeit auf der Sonnenliege, ich natürlich in der Hängematte, drückt dann irgendwie der Autoschlüssel.
Aber, wo ist der Punkt, an dem hier die Welt zu Ende zu sein scheint?
Da muss ich mich nur an einen Film erinnern, der 1971 mit Yul Brunner und Kirk Douglas unter dem Titel „ Das Licht am Ende der Welt“ gedreht wurde.
Als Location wurde damals das Cap de Creus, der östlichste Punkt Spaniens ausgewählt.
Ein Glück, dass an dieser prekären Stelle auch noch ein echter Leuchtturm stand und so die literarische Vorlage des Jule Verne mit dem Titel „Der Leuchtturm am Ende der Welt“ eins zu eins in bewegte Bilder umgesetzt werden konnte.
Also, nach diesem Grundwissen, bewegten wir unseren müden Hintern eines Morgens zu unserem Auto, steckten jenen besagten Schlüssel ins Schloss und brausten zunächst einmal über Llanca nach Puerto da Selva.
Dort, am Beginn des langen Sandstrandes, biegt die Straße rechts ab und von da an geht’s nur noch bergauf.
Das als Information, falls Sie eine ähnliche Reise planen.
Verirren können Sie sich nicht, immer Richtung Osten, durch Olivenhaine, die in mühseliger Arbeit terrassiert wurden.
Die Natursteinmauern sind verblüffend gut erhalten und bilden in ihrer strengen Geometrie einen Kontrast zu der wilden Steinlandschaft der Ausläufer der Pyrenäen, die sich hier am Kap beinahe 10 Kilometer weit fingerartig ins Meer hinausschieben.
Am Leuchtturm angekommen, sind wir so gut wie allein, und blicken ratlos auf die Badebuchten hinab.
Wie sind jetzt die Schwimmentusiasten da hinunter gekommen?
Wir sehen keinen Weg, geschweige einen Trampelpfad.
Das ist etwas nur für Einheimische, die hier die Schleichwege an den kleinen Kiesstrand kennen.
Der große Teil der deutschen und englischen Touristen wird sich diese Anreise nicht antun und in Rosas am breiten Sandstrand liegend, die erholsame Ferienzeit verbringen.
Wir umkreisen den Leuchtturm und finden doch tatsächlich eine, schon leicht mitgenommen, Gedenktafel, die an den hier gedrehten Hollywoodfilm erinnert.
Natürlich hat man den Roman von Jules Verne adaptiert, so dass nicht mehr viel von dieser Phantasiegeschichte übrig blieb, aber so viel lässt sich zur Handlung sagen:
Piraten überfallen ein Dorf, der Filmheld kann sich vor den gefährlichen Burschen wohl verstecken, aber irgendwie wissen die das nach kurzer Zeit und wollen ihm habhaft werden.
Und damit das gelingt, nehmen sie seine geliebte, bildhübsche, leicht bekleidete Arabella gefangen und so weiter und so fort.
Bis zum happy End.
Nein, ein Ende soll unsere Reise jetzt noch nicht nehmen.
Wir stolpern noch einige Zeit im Gelände herum, entdecken alle wild wachsenden Gewürze der mediterranen Küche und würden uns glücklich schätzen, hätten wir zu unserem Käse und dem mitgenommenen Weißbrot eine Flasche roten Weins im Rucksack, wie ärgerlich, nur eine Flasche Selters.
So sitzen wir irgendwann auf einer dieser Steinmauern und machen, mit dem Blick auf den nördlichsten Teil des Golfes von Roses, eine kleine Siesta.
Wir haben noch etwas Zeit.
Weil wir unseren Besuch bei Herrn Salvatore Dali erst auf 15 Uhr angekündigt haben.
Zur Fahrt nach Port Lligat müssen wir nur eine halbe Stunde einplanen und kurz vor Cadasque links abbiegen.
Dazu ist kein Navi notwendig, ein Blick auf die Karte des 1998 errichteten Naturparks genügt.
Aber wir müssen pünktlich sein, denn der Besuch des Dali’schen Wohnhauses, ist peinlich genau terminiert, schließlich soll nicht eine unkoordinierte Horde von Touristen aus aller Welt schwarmmäßig über Dalis Wohnzimmer, Atelier und Schlafzimmer herfallen, zumal sich durch die einzelnen Verbindungsgänge höchstens ein einziger schlanker junger Mann wie ich hindurchzwängen kann.
Vom höchsten Punkt des Caps, dem Sant Salvador Saverdera, 670 m über den Meeresspiegel gelegen, fahren wir diesem verschlafenen Fischernest entgegen, biegen vor der kleinen Bucht, den Blick bereits auf Dalis ehemaliges Wohnhaus und heutigem Museum fixiert, rechts ab auf einen riesigen Parkplatz, auf dem kaum ein Auto steht.
Verwundert, man hatte uns gesagt, dass wir ohne Anmeldung es gar nicht riskieren bräuchten, schauen wir nach den prognostizierten Menschenmassen Ausschau.
Gut, es ist noch nicht Juli oder August, aber bei unserem gestrigen Besuch in Rosas haben wir festgestellt, dass sich auch bereits an Ostern eine Menge Leute in diesem Touristenort an der Costa Brava herumtreiben.
Hier allerdings sind wir mit zwei, drei kunstgeschichtlich interessierten Leuten alleine.
Zunächst setzen wir uns einmal in den Filmvorführungsraum und bekommen dort die Entstehungsphasen der einzelnen Fischerkaten zu einer weltberühmten Wohnstätte eines bis ans Ende der Welt bekannten Malers, eines Spinners, eines Verrückten, eines Exzentrikers, eines Provokateurs.
Eines Egomanen, eines Genies, dem Hauptvertreter des Surrealismus.
Aber so surreal finden wir seine Lebensweise nicht.
Die Küche – sehr einfach, nichts Außergewöhnliches.
Das Wohnzimmer – ein paar selbst entworfene Möbel, das wars.
Das Schlafzimmer – zwei getrennt stehende Betten in königlichem Rot, auch nichts Besonderes, gut, ein bisschen viel Stoff und vielleicht der Blick von der Liegestatt auf die Bucht von Port Lligat.
Einige außergewöhnlich möbilierte Partyräume, die das mittelmeerische Sonnenlicht nur durch schmale Schlitze oder schmale Fensterbänder hereinlassen.
Im Atelierraum natürlich kein Original Dali, so vermessen war ich aber auch nicht, das zu erwarten.
Aber beindruckt hat mich die Vorkehrung, die Dali das Bemalen riesiger Leinwände leicht machte.
Von wegen auf eine Leiter steigen.
Ein Schlitz im Fußboden und die dazugehörige Mechanik erlaubt es, diese gigantische Staffelei in die Wohnetage der darunter liegenden Räume abzusenken.
Dali lebte und arbeitete hier bis zum Tod seiner Frau Gala im Jahre 1982.
Ihr Tod, den Verlust seiner Muse und der Managerin seines finanziellen Erfolgs, hat ihn tief getroffen.
Er hat Port Lligat nie wieder betreten, im Mai des Jahres 1983 malte er sein letztes Gemälde „Der Schwalbenschwanz“.
Er verweigerte die Nahrungsaufnahme, konnte nicht mehr schlucken und wurde bis zu seinem Lebensende durch eine Nasensonde ernährt, seine Stimme versagte.
Im Jahre 1984 erlitt er schwere Verbrennungen, hilflos in seinem Bett liegend, als seine am Arm angebrachte Hilferuf-Klingel durch Kurzschluss sein Bett in Brand setzte.
Dali starb 1989 im Alter von 84 Jahren an Herzversagen und wurde in seinem Museum in Figueras in der Krypta unter der Glaskuppel beigesetzt.
Sein erstes als surrealistisch geltendes Gemälde war Blut ist süßer als Honig aus dem Jahr 1927.
Süßer als Honig wirkt die Gartenanlage, die sich den Hang hinaufzieht und meist in einem strahlenden Weiß den Betrachter blendet.
Ich erkenne nichts Spleeniges, dafür habe ich schon zuviel Zeitschriften der Marke „Traumhäuser“studiert und den Kopf über die Architekten der Reichen geschüttelt.
Das Taubenhaus mit in der Wand eingelassenen Kaffeekannen.
Der Pool, von einer gehäkelten Riesenschlange begleitet und natürlich in Form eines Penis mit allem drum und dran provokant gestaltet, zumindest für die damalige Zeit .
Wir nehmen Platz auf dem Mae West Lippensofa, ein interessantes Möbelstück, das seinen eigentlichen Ursprung in Dalis Gemälde mit dem Titel El rostro de Mae West que puede ser usado como un apartamento (Gesicht der Mae West, das als Wohnung benutzt werden kann).
1938 entwarf Dalí dieses Mae-West-Sofa, dessen Form die Lippen von Mae West darstellen sollte.
Und wer die Mae West nicht kennt, der sollte sie sich als eine Blondine des Film-Amerikas der Dreißiger vorstellen.
Warum allerdings links und rechts dieses Sofas die Werbung für Pirellireifen aufgestellt ist, hat sich mir bis heute, trotz hartnäckiger Recherche, nicht offenbart.
Der Gang hinauf aufs Dach eines der Gebäude offenbart uns aber einen einzigartigen Blick, an Dalis Ei vorbei, auf die Bucht von Port Lligat.
Natürlich versagten wir uns nicht dem Gag, ins aufgebrochene Ei hineinzuklettern und ein Erinnerungsphoto zu machen.
Leider war damals das Selfie noch nicht im Gespräch, Handys uns noch unbekannt, so dass ich nur ein konventionelles Bild meiner Liebsten machte.
Die Zeit läuft uns davon, wir haben nur eine begrenzte Besichtigungsdauer gebucht und so verstehen wir am besten die Bildaussage von Dalis wohl bekanntestem Werk, auf dem die Uhren weich geworden sind, auf dem die Zeit zerrinnt, zerfließt.
Und im Hintergrund die Felsen des Cap Creus zu erkennen sind.
Die Felsen am Ende der Welt.

„Die Tatsache, dass ich selbst im Augenblick, wo ich male, die Bedeutung meiner Bilder nicht erkenne, will nicht heißen, dass sie keine Bedeutung hätten.“
Sagte Dali zu seiner Arbeitsweise.
So stehen wir ein paar Tage später in seinem Museum in Figueras und zerbrechen uns den Kopf über die Bedeutung seines hier ausgestellten Werkes.