Verflixt, warum kann ich mich davon nicht freimachen?
Wer hat mir diesen Thesaurus implantiert?
Färben 38 lange Schuljahre mit der Korrektur unzähliger Diktate und Aufsätze, fehlerhaft geschriebene Worte automatisch rot ein?
Fragen über Fragen!
An mich selbst.

Da bekomme ich eine Postkarte von Freunden aus ihrem Urlaubsland, sie schreiben, sie würden gerade auf der Terrasse sitzen, den Urlaub genießen und es bedauern, dass wir nicht dabei seien.

Anstatt mich über den lieben Gruß zu freuen, läuft meine anscheinend genverankerte Rechtschreibprüfung automatisch an und stellt abschätzig fest, dass ich darüber meinen Freunden nicht schreiben würde, solange ich mir nicht sicher wäre, dass man Terrasse mit zwei R und mit zwei S schreibt.

Und nun stehe ich hier am Grab des Philosophen Walter Benjamin in Portbou, mit dessen Werk ich mich in den letzten Wochen intensiv beschäftigt habe und was fällt mir auf?
Was springt mir sozusagen ins Auge und tut mir dort weh?
Zwei Rechtschreibfehler.
«Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solcher der Barberei zu sein.»
Irgend jemand hat allerdings versucht aus dem falsch gesetzten r durch eine kratzende Korrektur ein s zu machen, aber dass er dabei übersehen hat, dass Barbarei barbarisch falsch in den Stein gemeißelt wurde, nehme ich ihm übel.
Nehmen wir an, dass dem Steinmetz nur ein handwerklicher Fehler unterlaufen ist, er war sicher der deutschen Sprache nicht mächtig, hat den Text von einem Arbeitszettel abgeschrieben und dabei den Blick mehr auf seinen Pressluftmeißel gerichtet als auf den beigelegten Begleittext.
Ein Text aus der Feder Walter Benjamins, der hier in Portbou begraben ist.

Der hier in Portbou seinem Leben selbst ein Ende setzte.
Der hier in Portbou zusammen mit anderen Emigranten versuchte über die spanische Grenze zu fliehen um, mit einem bereits ausgestellten USA-Visa, über Portugal nach dem Land der Freiheit zu entkommen.

Der Grabstein befindet sich an einem der phantastischten Orte, die für einen Friedhof geeignet erscheinen.
Hoch über dem Hafen des kleinen Städtchens Portbou liegt er auf einem Bergsporn, der steil ins Meer abfällt, ein gefährlicher Ort für den, der sich nicht auf den ausgewiesenen Wegen bewegt und ein bewegender Blick für die noch Lebenden über die Bucht, über das Mittelmeer, das in einem unwahrscheinlichen Blau von der Ewigkeit kündet, für die wir nicht geschaffen sind.
Dani Karavan hat hier im Jahre 1994 ein Denkmal für Walter Benjamin geschaffen, das den Friedhof, zumindest den Eingangsbereich vor dem Friedhofstor, zu einem besichtigungswerten Ort in diesem kleinen, verschlafenen Fischerdörfchen werden ließ.
Das Denkmal besteht aus mehreren, in der Landschaft verteilten, aus rostigem Stahl gefertigten Elementen.
Ein kleiner, senkrecht in den Himmel führender Steinturm , der aber abrupt abbricht und rechts des Weges zum Friedhof eigentlich nicht von jedem Besucher wahrgenommen wird, weil ein Portal den Blick magisch anzieht, durch das eine Stahltreppe unterirdisch hinab in den Felsboden führt.
Auch wir betreten ohne lange nachzudenken den stahlrostigen Eingangstrichter und steigen die Stufen ins Dunkle hinab, an deren Ende uns der Absturz über die Klippen ins tieferliegende Meer sicher scheint, ist doch die abschließende Panzerglasscheibe erst im letzten Moment zu bemerken.
Man denkt unwillkürlich > Gottseidank>, denn man will ja noch eine Weile zu den Lebenden gehören.
Wir blicken aus diesem Korridor aus Stahl, der über das Meer hinaus ragt, hinab zur Bucht.
Aus der völligen Dunkelheit des Stahlschachtes blinzeln unsere Augen, beschäftigt mit der Adaption an das grelle Licht der Mittagssonne, hinaus auf das Meer.
Von der Treppe aus blickt man in die tödliche Tiefe und, die nordöstliche Flanke der Bucht überblickend, über das Freiheit versprechende ruhige Meer.
Leider blickt man auch auf unzählig weggeworfene Zigarettenkippen.
Auf eine ketschupverschmierte Pommesfrites Schachtel.
Und riecht, was besonders verwerflich in die Nase dringt, den Geruch von Urin.
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Die Glasplatte ist von zahlreichen Händespuren verwischt, vielleicht aus einem besonderen Blickwinkel sogar verschmiert, aber das Zitat, das auf Deutsch in diese Glasplatte eingeätzt wurde, lässt sich leicht lesen.
„Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht.“
Ja, Namenlose entehren heute diesen Gedenkort für einen Mann, dessen Werk wohl nur noch Wenige interessiert, dessen Leidensweg jedoch nicht vergessen werden sollte.
Als Walter Benjamin hier in einem Hotelzimmer tot aufgefunden wurde, zählte er zu den Namenlosen, wurde er doch erst in einem namenlosen Einzelgrab, dann in einem Massengrab beigesetzt.
Zu den «Berühmten» gehört Benjamin heute nicht zuletzt auch dank der «Aura» seines Todes.
Ein Wanderweg von Banyuls sur Mer nach Portbou folgt dem früheren Schmugglerpfad und wird heute durch das katalanische Fremdenverkehrsamt als , «Sentier de la liberté Walter Benjamin», kurz: «Chemin Walter Benjamin, in Spanien: «Ruta Walter Benjamin»beworben.
Am Col de Rumpissa erreicht man mit über 500 Metern den höchsten Punkt des Weges und ich habe irgendwo gelesen, dass der Blick von dort an das – in der Bibel – verheißene gelobte Land erinnert.
1940 ein ersehntes Land, um den Schergen Hitlerdeutschlands zu entkommen.
In Benjamins Hauptwerk <These über den Begriff der Geschichte> ist eine Passage einem Engel gewidmet, der von einem aus dem Paradies entstandenen Sturm in die Zukunft geweht wird.
Er sieht den Trümmerhaufen, den die Katastrophen der Geschichte zum Himmel wachsen lassen, aber er ist dagegen ohnmächtig.
Da ist meine Ohnmacht gegenüber dem Übersehen von Rechtschreibschwächen gering einzuschätzen.
Damit kann ich leben.