…wir sind in den Bergen der Madonie, den Monti Madonie, und könnten, wenn wir weiterfahren würden, so zum zweithöchsten Berg Siziliens kommen, zum Piz Carbonara mit 1979 Meter Höhe….
Also das weiß ich jetzt schon!
Den ganzen Tag nur Strand, das halte ich höchstens zwei, drei Tage aus.
Das Mietauto direkt vor der Hoteltür und man liegt nur so rum.
Von der einen auf die andere Seite.
So abgeschafft kann niemand sein, dass er 14 Tage absolute Stille braucht, um sich zu erholen.
Ich muss nicht lange lamentieren, meine Reisebegleiter sehen das ebenso und schon sind wir dabei, den Tagesrucksack zu bestücken.
Wir wollen mal ins Gebirge.
Nicht immer nur Hafen, Fischerboote mit Fischgeruch.

Wir wollen ins Hinterland.
Das hört sich dramatischer an als es ist, aber wenn man von Cefalu aus sich südlich hält, wartet Serpentine auf Serpentine auf den Autofahrer.
Wir fahren zunächst in Richtung Millazzo, biegen aber schon bei der ersten Gelegenheit rechts ab in die Berge.

Eigentlich wissen wir gar nicht wo wir hinwollen.
Einfach mal ein bisschen was anderes als Strand.
Also bergauf.

Mir als Fahrer imponiert das Verkehrsschild, das den Ort Pollina ankündigt, also schnell mal, ohne nachzufragen, abgebogen und auf den zweiten Gang geschaltet, denn anders schafft unser Fiat die Steigung nicht, die sich vor ihm ankündigt.
Kurve 1, Kurve 2, Haarnadelkurve , Kurve links.
He, ich komme ja aus dem Kurbeln gar nicht mehr raus.

Meine Beifahrerin schaut ein wenig entgeistert in die Tiefe, die sich in manchen Kurven auf ihrer Seite auftut.
Kurve 17 mit Rollsplitt, in Kurve 19 kommt uns ein Tankwagen entgegen, auch nicht besonders lustig, ab Kurve 21 gebe ich das Zählen auf, kurbeln und nicht zählen ist angesagt.
Der Rest meiner Mitfahrer auf dem Rücksitz meint,- ich erinnere mich an die Wünsche meiner Kinder- dass sie Hunger hätten, dass jemand mal nach etwas schauen müsste und ob es noch lange dauern würde.
Woher soll ich das wissen, ich weiß ja selbst nicht wohin ich fahre, aber aus meiner entschlossenen Fahrweise schließen alle darauf, dass ich mich vor Beginn der Ausfahrt über ein Ziel informiert hätte.
Ein Ziel?
Hier gibts tausende von Ziele.
Pollina ist ein Zufallsziel, das wir ansteuern.

Also gut, denke ich, dann machen wir halt eine Pause.
Nur wo?
Das Sträßchen ist eng, eine Mittelleitlinie fehlt, Begrenzungspoller gibt es nicht und der Randstreifen vor dem Abgrund ist vielleicht 10 Zentimeter breit.
Alles andere als optimale Verhältnisse für Flachlandfahrer, hier beinahe tausend Meter über dem Meer, das hinter uns noch deutlich sichtbar vor sich hin glitzert.
Die Pause ist dringend notwendig, denn ich merke an meinen Achseln, vielmehr unter meinen Achseln, ein leichtes Muffeln, das wahrscheinlich der Tanklaster verursacht hat.
Ich glaube mich erinnern zu können, dass ich ähnlich roch, als wir mit einem gemieteten Wohnmobil durch die Toskana fuhren.
Ein Riesending, nicht geschaffen für den Urlaub in San Gimignano oder Lucca, und ich am Steuer, die anderen Mitreisenden mir gute Ratschläge gebend.
Aber wenn das Stadttor nur 2,30 Meter hoch ist, nützen dir diese wohlgemeinten Tipps nicht viel, laut Hinweisschildchen auf meiner Fahrerseite war mein fahrendes Haus 2,75 Meter hoch.
Da kann man diskutieren wie man will.
Die zwei Zahlen passen einfach nicht zusammen.
Zusammen, ein Schrei aus vier Kehlen, entdecken wir auf unserer Straßenseite eine kleine Parkbucht, für unser Fiatle wie geschaffen.

Vielleicht stehen die Räder rechts jetzt nur noch 5 Zentimeter vor dem Abhang.
Von Abgrund will ich nicht sprechen, aber zum Aussteigen benutzen wir lieber die Fahrerseite.
Wir sind ja noch jung und gelenkig.
Der Ausblick entschädigt und der frische Wind entlüftet etwas mein schweißnasses Hemd.

Wir sind in den Bergen der Madonie, den Monti Madonie, und könnten, wenn wir weiterfahren würden, so zum zweithöchsten Berg Siziliens kommen, zum Piz Carbonara mit 1979 Meter Höhe.
Wenn wir weiterfahren würden, könnten wir feststellen, dass dieser Riese keinesfalls vulkanischen Ursprungs ist, ein ganz normaler Berg also, der allerdings keinen richtigen Gipfel aufweist, sondern eine hügelige Bergkuppe.

Klar, als ich das so vor mich hinmurmle, dass das kein Ziel für uns Gipfelstürmer ist.
Wir brauchen einen richtigen Gipfel, von dem aus man ins Land schauen kann.
Jetzt aber gibts zuerst mal Wildschweinsalami aus dem Rucksack.
Also-nach deren Verzehr- wird sich niemand mehr an meinen Angstschweiß erinnern.
Dazu eine Cola, um das schwindelige Gefühl, das mich seit dem Verlassen unseres Ralleywägelchens etwas beeinträchtigt, zu bekämpfen.
Apropo Ralley.
Hier in diesen Gebirgszügen, auf diesen Straßen, durch diese herrlichen Wälder, an riesigen Stechpalmen vorbei, Steineichen links und rechts liegend lassen, fand von 1906 bis 1977 der Circuito Piccolo delle Madonie statt.
Nein, kein Zirkus, sondern eine der berühmtesten Ralleys dieser Zeit:
Die Targa florio.
Das hat mir natürlich vor Beginn des Ausflugs niemand gesagt, dass hier die Scuderia Lancia dreimal hintereinander das schwierigste Bergrennen gewonnen hatte.
72 Kilometer über ganz normale Landstraßen, durch kleine sizilianische Dörfer und den Zuschauern am Straßenrand beinahe buchstäblich über die Zehen fahrend.
Na ja , wenn ich heute einen Lancia gehabt hätte, wäre das ja ein völlig entspanntes Fahren nach Pollina geworden, aber so ?
Mit einem Fiat!
Komisch, als ich frage, ob jetzt ein anderer mal fahren wolle, höre ich nur den Bergwind in den riesigen Eschen säuseln.

Eschen aus denen Manna gewonnen wird.
Dieser Baum ist hier die einzige wirtschaftliche Einnahmequelle.
Der gewonnene Wirkstoff aus der Eschenrinde wird in der Pharmazie gebraucht und ich frage mich, ob nicht schon Manna in der Bibel erwähnt wird?
Oder war es dieser Baier, der an der Himmelspforte anklopft, vom Petrus seine Wolke zugewiesen bekommt und von dieser immer nach Manna ruft?
Irgendetwas in dieser Art habe ich in Erinnerung.
Was ich ganz sicher weiß, dass die Übersetzung aus dem Hebräischen nichts anderes als < Was ist das?> bedeutet.
Manna bedeutet <Was ist das>.
Und da wir das nicht wissen, wollen wir es mit dem sizilianischen Manna nicht zu weit treiben.

Wir sollten unsere Gedanken wieder auf die Strecke richten, denn der Platz am Steuer gehört widerspruchslos mir.
Also Kurve x mit Bedacht.
Kurve xx mit ein wenig zu viel Gas, was meine Mitfahrer mit einem Griff in die Hängeschlaufen quittieren und ich laut Juhu rufe, weil ich das Stadtschild vor mir sehe und die ersten Häuser des Dörfchens Pollina uns jubelnd begrüßen.

Wenn wir Fahrer der Targa floria gewesen wären.
So liegt der Ort um die Mittagszeit wie ausgestorben vor uns, auf dem Parkplatz drehe ich eine gemütliche Runde, denn so viel Platz unter den Rädern hatten wir die letzte Stunde garantiert nicht.
Pollina und wir.

Ganz alleine.
Hier versteht man mit Steinen umzugehen.
Stein auf Stein ist das große Amphitheater erbaut, nein, garantiert nicht aus dem Mittelalter, das ist pure Neuzeit.

Obwohl das Städtchen, das heute 3000 Einwohner hat, sich seit dem Jahr 1178 aus einem Kastell entwickelt hat.
Erst im Hotel, als ich unter Pollina im Internet nach Bildern schaue, nehme ich die gewagte Lage dieses Städtchens auf einem Bergsporn wahr.

Wahnsinn.
Aber beinahe alle sizilianischen Dörfer im Landesinnern liegen in solchen Höhenlagen, schwer zugänglich und somit leicht zu verteidigen.
Nur wer gegen wen erschließt sich mir nicht so leicht.

Aber darüber will ich erst in meinem Blog über Cefalu schreiben.
Jetzt erklettern wir mal zuerst den Rand des Steintheaters und blicken in die Ferne.

Schütterer Wald bedeckt die Kalkhügel, denen mein geschultes Geographenauge den Kalkstein und den Dolomit ansieht und aus dem sich eine Verkarstung ableiten lässt.
Tja, ich habe in der Schule aufgepasst.

Schule scheint hier auch keine stattzufinden, denn die Jugend hat sich zu einem Fahrradwettrennen rund um das Kastell getroffen, die Strecke wird nochmal besprochen, dass auch ja keiner einen unerlaubten Abstecher fährt und dann gehts ab.
Direkt am Rentnertreff vorbei, was bei manchem der alten Herren vielleicht eine Erinnerung auslöst, an Zeiten, zu denen er noch schlank, rank und beweglich war.

Aber das ist nicht mehr zu ändern, so reicht eine gedankliche Beweglichkeit vielleicht aus, um als Sieger aus dem Kartenspiel hervorzugehen.

Jetzt ist Zeit für einen Espresso, wir betreten die Bar, sind die einzigen Gäste und die sicher älteste Dame unter den Siestamachenden schenkt ihn uns mit einigen Beschwerden aus.
Sie ist von sizilianischem Wuchs und die Kaffeemaschine hat teutonische Ausmaße.
Das erschwert das ganze Procedere.
Draußen hat sich in der Zwischenzeit ein Streit ergeben, wir glauben das zumindest zu hören, wahrscheinlich wurde einer als Falschspieler enttarnt.

Wir glauben schon als Schlichter eingreifen zu müssen, aber ein vergewissernder Blick auf die Spielerrunde zeigt uns, dass man sich nur über einen ungewöhnlichen Spielzug lächerlich macht und der Angegriffene sich lautstark rechtfertigt.
Mit sizilianischer Lautstärke.

Die Jungs sind in der Zwischenzeit von ihrer Rundfahrt zurück und diskutieren den Rennverlauf.
Mit sizilianischer Lautstärke.
In der Stille eines ein paar Meter weiter gelegenen Gässchens finden wir die Damen des Ortes.
Vor der Haustüre auf einem einfachen Holzstuhl sitzend, gehen sie einem traditionellen Handwerk nach, das heute kaum noch ein Kind lernt.

Stricken, häkeln, sticken.
Es geht still zu bei dieser Gelegenheit und wir selbst empfinden uns ein wenig als Eindringlinge, als wir durchs Dörfchen streifen und ein paar idylische Winkel auf die Festplatte unserer Kamera bannen.

Hier ist alles Idylle, auch der zusammengebrochene Hühnerstall gibt ein Motiv ab, die Katzen , die schlafend vor der Haustüre liegen und der Vespafahrer, der zum xten mal seine Runde um das Kastell dreht, wahrscheinlich will er den Vergaser auf seine Funktionstüchtigkeit überprüfen.

Vielleicht will er sich sicher sein, dass er morgen mit seiner Vespa auch sicher zu seinem Arbeitsplatz an den Strand kommt.

Vielleicht ist er sogar der Eisverkäufer, der an unserem Strandabschnitt Gelati auf gekonnte Art in die Waffel schiebt und dabei einen bewundernden Blick über den Busen meiner Liebsten wandern lässt.
Wer weiß!
Und dann werde ich mich mal zwei, drei Tage nicht mehr aus dem Liegestuhl erheben.
Nach diesem Ausflug ins sizilianische Hinterland habe ich Ruhe dringend nötig.
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Diesen Reisebericht habe ich im Jahr 2015 geschrieben