……frisch aufgetragen, bereits wieder abblätternd, präsentiert sich uns diese Farbpalette an den Wänden der kleinen Fischerhäuser, die sich links und rechts des Kanals Richtung offenes Meer dahinschlängeln…….
Eigentlich wollten wir uns ein wenig Venedig anschauen.
Das, was man so unter Venedig versteht.
Markusplatz, Campanile, Rialtobrücke und – .
Das hat man davon, wenn man völlig unvorbereitet mal schnell mit dem Schiff von Punta Sabbione – dort campten wir auf einem Campingplatz- nach Venedig fährt.
In meinen Augen die beste Möglichkeit nach Venedig zu kommen, denn das Schiff steuert direkt den Markusplatz an.
Frühmorgens gegen 9 Uhr glaubten wir noch relativ allein zu sein, wir wollten am frühen Morgen ein paar schöne Fotos machen, die Sonne wollten wir noch als angenehmen Begleiter empfinden.
Ja, so kann man sich täuschen.
So scheinen noch einige Tausend gedacht zu haben, denn der Touristenstrom überschwemmt bereits den Markusplatz, die Tauben behaupten allerdings noch ihren in der Nacht zurückeroberten Luftlandeplatz.
An den Einstiegstellen für Gondelbegeisterte herrscht reges Treiben.
Den Aufgang zur Rialtobrücke blockieren einige Hundert fotografiebegeisterte Asiaten, nur die Sonne meint es gut mit uns.
Noch.
Vor den klassischen Bauwerken des Doms und des Dogenpalastes stehen bereits lange Schlangen.
Wir brauchen uns nur noch stumm anzusehen, um zu wissen, dass wir heute auf den Anblick eines Kircheninnerens verzichten werden.
Ein Tag in Venedig – aber bitte nicht im Sog der Masse.
Nicht dass wir was Besseres sein wollen.
Wir wissen sehr wohl, dass wir uns beinahe in Nichts von den Besichtigungswütigen, den Wissensdurstigen unterscheiden.
Aber es muss doch möglich sein, die stillen Winkel Venedigs zu entdecken.
Komisch, sehr lange brauchen wir nicht zu suchen, eine Seitengasse vom Markusplatz links ab, durch eine enge Häuserflucht hindurch, schon die Orientierung verloren – allein.
Den Campanile als Orientierungsmarke sehen wir auch schon nicht mehr, also jetzt werden wir mal die nächste Zeit uns von Gasse zu Gasse, über Brückchen, entlang den kleinen Kanälen treiben lassen, nehmen wir uns vor.
Verhungern oder gar Verdursten ist im Verlaufe eines Tages ja wohl nicht möglich.
Ist doch herrlich so durch Venedig zu schlendern.
Ohne Ziel, ohne an jeder Straßenkreuzung auf einen Stadtplan zu starren, weil man unbedingt dies oder jenes erreichen will.
Allein.
Irgendwie ist das Venedig, das wir hier abseits sehen, noch nicht in die Gänge gekommen.
Vielleicht sind die Venezianer auch – ähnlich den Parisern – im Monat August geflohen, in den wohlverdienten Urlaub gereist, haben für vier Wochen genug von ihrer Heimatstadt, während wir Fremdlinge nach mehr dürsten.
Im Rucksack eine noch kühle Cola, zwei Croissants und schon sitzen wir im kühlen Park einer Kirche, für deren Namen wir uns nicht interessieren.
Wir hätten den Namen ja eh nach kurzer Zeit wieder vergessen, wimmelt es doch geradezu von heiligen Bauten in dieser Stadt.
Glockentürme- Campanile – offenbaren bestens den morastigen Untergrund der Lagune, auf dem sie vor vielen hundert Jahren errichtet wurden, auf Hunderten von Eichenstämmen, die man in den Morast geschlagen hatte und die das Fundament abgaben, auf dem Tonnen und aber Tonnen Steinquader den Kirchenbau in die Höhe wachsen ließen.
Sie sind alle ein wenig aus der Vertikalen geflüchtet, haben das Lot des Baumeisters ignoriert und bereiten mir beim Fotografieren einige Probleme, glaube ich doch zunächst meine Kamera schief zu halten.
Unser Weg aus dem kühlenden Schatten zweier winziger Akazien führt uns wieder in die Nähe eines Kanals, an dem gerade ein- fliegender wäre nicht der richtige Ausdruck – schwimmender Händler seinen Kahn am Ufer festgemacht hat und die Kundschaft mit frischem Gemüse versorgt.
Irgendjemand hat es besonders eilig, vielleicht auf dem Weg zur Arbeit, und rauscht den kaum zehn Meter breiten Kanal entlang.
Die Bugwelle schwappt an die Kaimauer und die aufspritzende Gischt beschert den angeboten Früchten eine willkommene Abkühlung, nur der Gemüsehändler findet diese Verkehrsrüpelei nicht besonders lustig.
Ich verstehe zu wenig italienisch, um seine verbale Reaktion aufnehmen zu können, allerdings glaube ich das Wort „stronzo“ aus seinem Wortschwall herauszuhören.
Herauszusehen aus dem Blick meiner Liebsten glaube ich, dass wir genug gewandert sind, dass wir uns so gut wie nicht mehr auskennen, dass wir mal wieder bekanntere Gefilde ansteuern sollten.
Also – kehrt gemacht, die Sonne zur Orientierung ins Gesicht scheinen lassen und mal die Sonnenbrille aufgesetzt, um die Straßennamen besser lesen zu können.
Nur nützt uns das nicht viel, sind wir doch mal wieder ohne Stadtplan unterwegs.
Jetzt hilft nur noch die heilige Maria.
Sie scheint mein inneres Flehen erhört zu haben oder mein eingebauter Kompass funktioniert heute besonders gut, denn nach wenigen Minuten stehen wir am Rande eines großen Kanals, direkt an der Haltestelle für den öffentlichen Nahverkehr, der in Venedig ja auf dem Wasser stattfindet.
Wir steigen in das erstbeste Vaporetto ein, ein bisschen Platz müssen wir uns auf italienische Art mit den Ellbogen verschaffen, lösen eine Fahrkarte, ohne zu wissen, wo der schmutzige Kahn uns hinbringen wird.
Vier, fünf, sechs Stationen lassen wir verstreichen, dann haben wir das Gewirr der Wasserstraßen verlassen, befinden uns auf dem offenen Meer und nehmen Fahrt auf, den weitsichtbaren Campanile kleiner werdend lassen.
Na, so ganz wohl ist mir nicht, aber meine Fragen an einige Mitreisenden verstehen diese überhaupt nicht.
Es ist mir völlig unklar, wie man meinem fragenden Blick nicht ansehen kann, dass ich nur wissen möchte, wohin wir fahren.
Ein Wortschwall geht auf mich nieder, leider kein Informationsgewinn für mich.
Ich bedanke mich höflich, so viel italienisch kann ich schließlich, fluche aber innerlich in deutsch vor mich hin, weil ich im letzten Winter zuhause keinen Volkshochschulkurs in dieser Sprache belegt habe.
Da sind wir gerade mal 1000 Kilometer von zu Hause weg und niemand versteht deutsch, niemand englisch.
Na ja, noch ist die Sonne nicht am Untergehen, aber an der nächsten Station werden wir das Schnellboot verlassen, ganz egal wie der Ort heißen mag.
Burano – glaube ich durch die milchigen, völlig verschlierten Scheiben des Wassertaxis auf einem abblätternden Schild lesen zu können.
Burano?
Murano kenne ich durch das Verkaufsangebot an bunten Gläsern in den Regalen der Shops rund um den Markusplatz.
Zählt diese kleine Insel, etwa 700 Meter lang und 500 Meter breit, etwa gar nicht mehr zur Lagunenstadt?
Egal, raus aus der stickigen Kabine an die frische Luft.
Herrlich, eine erfrischende Brise kühlt unsere nassgeschwitzten T-shirts und nach wenigen Schritten trifft uns hinter der ersten Hausecke eine Farborgie.
Rot, grün, gelb, blau in allen Variationen.
Eine Farb-Orgie.
Frisch aufgetragen, bereits wieder abblätternd, von der Sonne verzehrt, präsentiert sich uns diese Farbpalette an den Wänden der kleinen Fischerhäuser, die sich links und rechts des Kanals Richtung offenes Meer dahinschlängeln.
Blitzblank sind die Wege auf der Kaimauer, der Besen steht griffbereit rechts neben der Eingangstür, links davon der Fischkescher, vielleicht gelingt es ja mit geübter Hand sich das Mittagessen schnell aus dem Kanal zu angeln.
Zum Schutz vor der sengenden Sonne sind Fenster und Türen durch große Stoffbahnen geschützt, die Wäsche zum Trocknen auf der Wäscheleine, ungeniert, ob Bettwäsche oder Unterwäsche, aufgehängt.
Du brauchst hier keine Hausnummer, die farbliche Besonderheit deines trauten Heimes würde sicher den Postboten leiten, die für dich zugedachte Post auszuliefern.
Die aufgetragene Farbe lässt keinerlei Rückschlüsse auf Charaktereigenschaften oder eventuelle sexuelle Präferenzen erkennen, hier ist nur die Lust an der Farbe, die Unverwechselbarkeit erkennbar.
Es gibt verschiedene Legenden, weshalb die Fischer ihre Häuschen so bunt bemalt haben.
Sie reichen von den – in den Wintermonaten – auftretenden Nebeltagen, an denen das Auffinden eines weiß gestrichenen Hauses beinahe unmöglich ist, bis zu den Pestjahren im Mittelalter, als die Farbe signalisieren sollte, dass dieses Haus von der Pest verschont geblieben war.
Sehr einleuchtend erscheint mir die Farbgebung für den Fischer, der nach durchzechter Nacht sich nicht mehr in der Hausnummer irren kann.
Wie oft liest man in den Zeitungen, dass solche Verwechslungen durchaus vorkommen, plötzlich ein Fremder sich neben deine Ehefrau ins Ehebett legen will.
Vielleicht ist es für die Eingeborenen heute schon ein bisschen zu heiß, die vor der Sonne schützenden Jalousien sind bereits heruntergelassen und nach außen ausgestellt.
Aus den geöffneten Fenstern hört man die Geräusche des banalen Alltags, ein Staubsauger heult, ein Radio dudelt den Schlager von Adriano Celentano “ Una festa sui prati“, eine Mamma sitzt auf dem Sträßchen vor dem Hauseingang und stickt konzentriert vor sich hin.
Sie sucht das Licht, in der abgedunkelten Wohnung ist dieses augenintensive Hobby wohl nicht durchführbar.
Wir bleiben still hinter ihr stehen und schauen aufmerksam zu, wie sie das Leinengewebe durchbricht, die stehenden Fäden umstickt, nach einem System, das wir nicht verstehen, niemals verstehen werden.
Aber Bewunderung darf man für diese Handfertigkeit zeigen.
Spitzenstickerei aus Burano in Technik der Reticella ist einzigartig auf der Welt.
Es scheint sich hier um eine Art der Heimarbeit zu handeln, denn wenige Straßenzüge weiter sehen wir das Flechtwerk feinster Leinenfäden zum Verkauf an einem Kiosk ausgestellt.
Horrende Preise, für uns durchaus verständlich, jedoch unerschwinglich, lassen uns abwinken, als der Kioskbesitzer an der Piazza Galuppi uns einen Sonnenschirm in dieser Spitzentechnik verkaufen will.
Wahrscheinlich sind wir heute nicht die Ersten, die sein Angebot ausschlagen und ihn deswegen verärgern.
Vielleicht hat er auch nur Sorge, dass wir bei seinem Nachbarn die deutlich billigere Variante der Spitzenstickerei kaufen könnten – made in China.
Vielleicht sollte er auf den Markusplatz umziehen, denn hier in Burano herrscht in den frühen Nachmittagsstunden eine friedfertige Stille, schlecht fürs Geschäft.
Wir entdecken den Laden des Palmisano Luigi und gönnen uns für den kleinen Hunger eine Tüte Buranelli al cioccolato, schlendern damit zur L’Antica Scuola die Merletti.
Mitte des 19.Jhs. war die Spitzenstickerei beinahe in Vergessenheit geraten und einige alte Frauen, die dieses Handwerk noch beherrschten, gründeten diese Institution.
Seit 1872 genau schafft diese Schule meisterliche Kopien alter Nadeltechniken des “ punto in ario „, des luftigen Stichs.
Links und rechts der kleinen Kanäle liegen die Hausboote fest vertäut, zum Schutz vor dem nächtlichen Tau noch meist abgedeckt.
Wir wechseln über eine der kleinen Brücken auf die andere Kanalseite, bewegen uns auf der Schattenseite des Kanals und steuern ein kleines Pizzalokal an, schließlich sind wir nun schon einige Stunden auf den Beinen, der Magen knurrt, der Gaumen lechzt und die Blase drückt.
Die Preise sind moderat, kein Vergleich zu den Lokalen Venedigs.
Und der Kellner spricht deutsch, lebte er doch einige Jahre in Mannheim, er erklärt uns auch, wo und wann das Boot zurück zum Markusplatz abfährt.
Eigentlich wollten wir uns ein wenig Venedig anschauen.
Dass daraus ganz viel Burano wurde, war das Beste, was uns an diesem Tag passieren konnte.