…..einen Blick in die Palazzi geworfen, habe das Interieur dieser alten Adelspaläste bewundert und von der Terrasse des Commissarios aus meist rührselig auch den Sonnenuntergang…..
Na, das wird selten vorkommen.
Das mit den traurigen Gondeln in Venedig.

Obwohl mir dieser Titel immer wieder einfällt, wenn ich an die Lagunenstadt denke.
Ein Psychothriller im Stile Hitchcocks beeindruckte mich Mitte der 7o Jahre, als „ins Kino gehen“ eine meiner wenigen Freizeitbeschäftigungen in einer hohenlohischen Kleinstadt war.

Der Abspann des Filmes wurde damals noch bis zum Ende in einer Geschwindigkeit gezeigt, bei der man mitlesen konnte: Julie Christie und Donald Sutherland unter der Regie von Nicolas Roeg.
Er zeigte ein düsteres, kaltes Venedig, ein gewaltiger Kontrast zu den Erinnerungen der meisten Menschen, die die Lagunenstadt bei ihrem Besuch ganz anders in Erinnerung hatten.
Vino Rosso, Pizza und Gelati machten sich damals in den Gedanken der Touristen auf angenehme Art breit.

Heute sind einige Gehirnwindungen durch das Bewusstsein blockiert, dass diese Stadt jährlich 30 Millioner Besucher verzeichnet, davon allein 2 Millionen durch die Tagesbesucher, die für einige Stunden die großen Kreuzfahrtschiffe verlassen und die Stadt schwallartig überschwemmen.

Da machst du kein Foto mehr von der Seufzerbrücke, ohne gestoßen zu werden, von der Rialtobrücke droht dir der Sturz in den Canale Grande, weil eine Horde knipswütiger japanischer Rentner alle zur gleichen Zeit das gleiche Motiv fotografieren und filmen und dich an der Balustrade der berühmten Brücke beinahe zerquetschen.

Ihr Reiseleiter hat das ihnen empfohlen. Das mit dem Motiv, nicht das Zerquetschen.
An den Anlegestellen der Gondeln gehts zu wie beim Einstieg in die U-Bahn in Tokio, angebrochene Rippen sind durchaus denkbar, von einer geordneten Gondelfahrt auf dem Canale Grande kann keine Rede sein, ein Gewusel stinkender Motorboote raubt jede romantische Stimmung.

Wildes Getümmel an der Engstelle unter der Rialtobrücke und – deutlich vernehmbar- lauthalses Fluchen auf den doofen Kollegen, der mal wieder nicht schnell genug den Weg zwischen den Vaporetti freigibt.

Allerdings sitzen sie später in ihren fotogenen Matrosenanzügchen, das schicke Sonnenhütchen auf dem Kopf, wieder beieinander und schöpfen Kraft für die nächste Schiffsladung.
Was man für Geld doch alles tut.

Wie in den 24 Romanen der Donna Leon, die ihren Commissario Guido Brunetti die Gesetzesüberschreitungen in der Lagunenstadt aufklären lässt, gegen den Widerstand des Vice Questore Guiseppe Patta, der in Sorge um den Imageschaden für Venedig und den Tourismus eigentlich die meisten kriminellen Handlungen nicht weiter verfolgen oder gar aufklären würde.

Aber da kennt er seinen Commissario schlecht.
Ein wenig verzweifelt der allerdings daran, dass das Böse nicht aus der Welt zu schaffen ist.
Bis jetzt wurde aber jeder Fall im Buch und später in der deutschen Fernsehserie aufgeklärt.
100 prozentige Aufklärungsquote.
Und so ganz nebenbei habe ich, als begeisterter TV-Serien-Gucker, einen Blick in die Palazzi geworfen, habe das Interieur dieser alten Adelspaläste bewundert und von der Terrasse des Commissarios aus meist rührselig auch den Sonnenuntergang verfolgt, nicht ohne zuvor in die Geheimnisse der italienischen Küche eingewiesen worden zu sein.
Natürlich nur am Bildschirm. Und zuhause im kalten Deutschland.

Signora Brunetti ist neben ihrem Job als Dozentin an einer Hochschule auch eine begnadete Köchin, die von Pizza nichts hält, sondern ihrer Familie nach erschöpfendem Arbeitsalltag Meeresfrüchte kredenzt.
Eine hervorragende Vorbeugung gegen eine beginnende depressive Stimmung bei unserem Commissario.
Übrigens kann man auch ein Kochbuch erwerben, “ Bei den Brunettis zu Gast“, für wenig Geld lassen sich die Gerichte dort studieren und nachkochen.
Aber davon weiß wahrscheinlich Donna Leon nichts.

Wahrscheinlich weiß sie auch nicht, dass hier in Venedig um 1450 das erste gedruckte Kochbuch der Welt erschien.
Das weiß ich durch intensive Recherche.
Und Sie, lieber Leser , sollten an meinem Wissen bezüglich der Romane der Donna Leon teilhaben.
Die Autorin Donna Leon hat auf eigenen Wunsch ihrem Verlag gegenüber verfügt, dass die Krimis wohl in 35 Sprachen übersetzt werden können und in zahlreichen Ländern sich der gleichen Beliebtheit wie in Deutschland erfreuen, dass sie aber nicht in italienischer Übersetzung erscheinen dürfen.
Ja, die Italiener kennen keinen Commissario, keinen Vice Questore und auch nicht den Bootsführer Foa, der regelmäßig Brunetti mit dem Polizeiboot der Questura zu den Ermittlungsorten fährt.

Für die Italiener gibt es keinen Mordfall an einem Stardirigenten, keinen Drogenhandel, keinen Umweltskandal und auch keine Bestechung von Behörden, von Donna Leon erdacht und in Venedig verortet.

Korruption?
Aber doch nicht in Italien!
Doch, in diesem Land schon, aber wenn das der Italiener nicht zu lesen kriegt, glaubt er dann auch vielleicht nicht daran?

Alles also schriftstellerische Erfindung.

Nein , die Venezianer sollen weiterhin unvoreingenommen mit ihrer Donna Leon umgehen, sie selbst glaubt durch dieses Publikationsverbot in italienischer Sprache unerkannt ein normales Leben in der Lagunenstadt führen zu können.

Nun, das ist so ein Problem mit dem normalen Leben.
Venedig hat sich zum Nachteil für die Einheimischen verändert.

Läden für den täglichen Bedarf verschwinden und werden ersetzt durch Geschäfte, die Dinge wie Masken und Plastikgondeln für Touristen anbieten und die kein Venezianer braucht.

Der schwimmende Händler wird von den Einheimischen freudig erwartet.

Ist doch meilenweit kein Bäcker, kein Metzger oder ein Gemüsehändler an festem Ort zu finden.

Venedig heißt die Touristen willkommen.
Und dazu sind Souvenirshops nötig, die den Gast herzlich begrüßen.
Herzlich?
Wenn der Tourist lesen kann, dann weiß er hier noch vor Eintritt in den Laden, ob er willkommen ist.
Verschiedene Hinweiskärtchen an den Ladentüren weisen darauf hin:
>No Back-packer< , >No rucksack< und >inside only to buy< , wenn er dann noch das Hinweisschild >No credit cards< berücksichtigt, dann ist er hier ein willkommener Gast.

Aber nur dann.
Wer so den langen Tag in Venedig als willkommener Gast von Laden zu Laden herumschlendert, braucht irgendwann einmal eine Toilette.
Bei 2 MillionenTagesbesuchern im Jahr brauchen täglich etwa 6 000 Nicht-Venezianer eine Toilette.
Das hat meine eigene einfache Berechnung ergeben.
Leichte mathematische Übung.
Aber versuchen Sie mal eine öffentliche Toilette in Venedig zu finden?
Schwierigste Übung bei einem Tagesausflug in die Lagunenstadt.

Eine Tankstelle für die Motorboote ist schnell gefunden.
Aber ich bin zu Fuß unterwegs und angeregt durch das viele Wasser um mich herum, drückts mir gewaltig auf die Blase.
Also suchen.
Garantiert nicht am Markusplatz.
Neben dem Dogenpalast?

Im Schatten des Campanile?
Da bin ich mit meiner Suche vorsichtig, ist er doch schon einmal, nämlich 1902 in sich zusammengefallen.
Man wollte damals einen Lift einbauen und hat die Statik des viele hundert Jahre alten ehemaligen Leuchtturms unterschätzt.
Heute sehe ich also eine vollständige Rekonstruktion vor mir.
Aber kein Toilettenhäuschen.

Sehen Sie die drei hohen Schiffsmasten vor dem Campanile?
Sie stehen hier seit 1480 und werden an besonderen Tagen beflaggt.
Europaflagge, Italienflagge und Markus-Banner.
Weithin sichtbar!
Wäre das nicht eine Idee, das Toilettenhäuschen mit einem vierten Masten zu versehen?
Weithin sichtbar? Mit designter Toilettenflagge!
Du fängst an zu trippeln.
Nichts in Sicht!
Kein Hinweisschild!
Und glaube ja nicht, lieber Leser, dass du dich mal schnell am Kellner eines Lokals vorbei schmuggeln könntest, um dort die Toilette aufzusuchen.

Schon gar nicht am Cafe Florian, dem ältesten Cafehaus Europas, bereits 1683 eröffnet, mit oder ohne Toilette ist mir egal.
In einer der Seitenstraßen, sehr schwer zu finden, stoße ich endlich auf gesuchtes Bauwerk, elektronisch wie ein Hochsicherheitstrakt überwacht und nur gegen horrende Nutzungsgebühr betretbar.
Nein, eigentlich bleibt dir keine andere Wahl.
Wirf deinen schwäbischen Geiz über Bord und gönn dir den Espresso für fünf Euro oder das Glas Pils für 7.50 Euro inklusive Toilettengang.

Venedig ist ein teures Pflaster. Apropo Pflaster.
Der Markusplatz ist der einzige Platz Venedigs, der sich Piazza nennen darf.
Gepflastert im Jahre 1723 und damit berechtigt, diese Bezeichnung zu führen.

Die anderen Plätze in Venedig heißen „Campi“, waren sie doch ursprünglich nicht gepflastert.
Aber wer nimmt das schon heutzutage als Besonderheit wahr, die gepflasterten Straßen werden von den meisten Touristen übersehen, gerade stürmt eine Busladung Japaner an mir vorbei, das Auge hinter dem Okular der Kameras und die Gondoliere reiben sich – nein, nicht die Augen- sie reiben sich die Hände.
Sechs Mann/ Frau im Boot, eine halbe Stunde kanalrauf und kanalrunter und dafür knapp hundert Euro.
Wenn dann einer der Steuermänner noch “ O sole mio“ anstimmt, natürlich gegen einen Preisaufschlag, glauben die meisten Touristen, die sich auf diese Nepperei einlassen, das wäre einer ihrer glücklichsten Tage gewesen.
Garantiert sehr glücklich schaut der Gondoliere aus, vor allem, wenn das Finanzamt nicht so recht nachvollziehen kann, wieviel Schiffsladungen heute über die Wogen des Canale Grande gesteuert wurden.
Ach, Sie glauben ich übertreibe?
Wogen, bei strahlendem Sonnenschein?
Nun, lassen Sie mal ein Kreuzfahrtschiff von der Größe einer Costa Victoria auf dem Giudecca Kanal an sich vorbei ziehen.

Gerade eben haben Sie noch den nahenden Sonnenuntergang über dem Bacino di San Marco beobachtet, sich am Anblick der Punta della Dogana und der Kirche Santa Maria della Salute im Abendlicht erfreut.

Plötzlich schiebt sich ein schwimmendes Hochhaus in ihr Gesichtsfeld, eine Schweröldieselgestankwolke bei entsprechender Windrichtung umhüllt den Campanile und zieht über den Markusplatz, dann wissen Sie sehr wohl wie in Venedig Wogen entstehen.

Mit einer Verzögerung von einer Stunde werden Wogen von Menschen den Markusplatz überschwemmen.
Das ist so sicher wie das Amen in den 90 Kirchen Venedigs, dabei warten weitere 160 Kirchen im Großbereich der Lagune auf das Schlußwort einer Messe.

Früher wurde Venedig nur regelmäßig in den Wintermonaten vom Meerwasser überschwemmt, heute findet eine subtilere Art der Überschwemmung täglich statt.
Zwei Stunden Zeit.

Das reicht, um ein paar Tauben zu füttern.
Den Dogenpalst zu bestaunen- aber nur von außen.
Und vielleicht die Quadriga wahrzunehmen, die die Venezianer auf ihrem Kreuzzug 1204 in Konstantinopel geklaut hatten.

Es ist das einzig erhaltene Vierergespann der Antike.
Vielleicht wirft man noch einen Blick auf das Eingangsportal der Basilica di San Marco und bewundert, auch ohne Reiseleiter, die Mosaikarbeiten an der Fassade.
Insgesamt 8000 Quadratmeter, Weltrekord und Höhepunkt abendländischer Mosaikkunst.
Dann ist es aber Zeit geworden, einen Souvenirshop aufzusuchen, an dessen Tür die üblichen Kärtchen hängen.

No credit Cards , no backpacker, inside only to buy.
War man jahrelang der Ansicht, die modernen Kreuzfahrer würden der Stadt Reichtum bringen, hat sich heute ein Gesinnungswandel eingestellt.
Der Gestank des verbrannten Schweröls liegt wie ein Schleier über dem Kanal, die Wogen klatschen gegen die Fundamente der alten Palazzi und richten Schäden an, die sich durch nichts rechtfertigen lassen.

Seit dem 1. 1. 2015 ist die Passage für Schiffe mit mehr als 96 000 Tonnen verboten worden, allerdings hat ein italienisches Gericht dieses Verbot kurze Zeit später wieder aufgehoben.
Solange die Stadt Venedig keine Alternativ-Route anbieten kann, kann den vielen Costas und Aidas nicht verboten werden, den einzig möglichen Fahrweg auf dem Giudecca-Kanal zu nehmen.
Hat das Gericht entschieden.
Und die Hafenbehörde hat gejubelt, zahlt doch ein solcher Ozeanriese hohe Hafengebühren.
Also am Markusplatz lauern und du hast garantiert ein Foto mit dem 10 stöckigen schwimmenden Hotel auf der Festplatte.
Besser nicht hinschauen.
Don’t look now.
Nein, ich will Ihnen kein Englisch beibringen.
Aber Sie sollten wissen , dass der erwähnte Film „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ nur in der deutschen Fassung so hieß.
Originaltitel: Don’t look now.
Hat der Regisseur das 1973 bereits geahnt, vorhergesehen, wie es in Venedig ein paar Jahrzehnte später zugeht?
Besser nicht hinschauen?
Dass die Gondeln in Venedig Trauer tragen ist leicht zu erklären.

Sie sind alle pechschwarz angestrichen, nachtschwarz lackiert.
Das aber ist auch der einzige Hinweis darauf, dass jemand die Situation Venedigs traurig finden könnte.
Abends bin ich mit dem Fährschiff wieder zurück nach Punta Sabbione getuckert.

Die Sonne war bereits im Meer versunken.
Ein Blick zurück.

Ein Foto noch.
Dann gab es keinen Grund mehr zurückzuschauen.
Don’t look back.
Was lese ich heute in der Tageszeitung? Kann das Zufall sein? Wer hat meinen kritischen Venedig-Blog in Venedigs Stadtverwaltung gefaxt?
Hoffentlich ruft mich der neue Bürgermeister Venedigs nicht noch an, ich hätte jetzt keine Zeit für ihn.
Ich muss den Text aus den „Badischen Neuesten Nachrichten vom 18.7.2015 abschreiben:
Venedig will die Zahl der Touristen an Attraktionen wie dem Markusplatz einschränken. „Wir wollen den Druck von manchen Gegenden im historischen Zentrum nehmen“, sagte der neue Bürgermeister Luigi Brugnaro. Erwägt werde ein spezielles Buchungssystem; eine Studie sei in Auftrag gegeben worden. So sollten Einheimische, Pendler oder Hotelgäste unter bestimmten Bedingungen uneingeschränkten Zutritt haben. Dagegen müssten Tagestouristen vorher einen Besuch buchen. Unklar ist, ob Eintritt bezahlt werden soll. „Mein Ziel ist, Venedig ein bisschen normaler zu machen“, so Brugnaro.
Lesen Sie meinen Blog Italien: Kennst du das Land… über meinen Sizilien-Urlaub und die „unklare“ Frage wird sich nicht mehr stellen.( Archiv November 2014)