….Interessantes aus der Jetztzeit verrät die Angabe, dass sich die höchsten Wolkenkratzer Tallinns, das Swissotel und das Hotel Tornimäe Maja gerade mal in der Höhe um 2 Zentimeter unterscheiden….
Keine Frage.
Dieses Jahr wollten wir mal wieder in den Norden.
Aber im September?
Wir hatten mit dieser Jahreszeit so unsere Erfahrungen gemacht.
Allerdings in Finnland und etwa 1000 Kilometer weiter im Norden.
Die passende Kleidung hatten wir und im Zelt wollten wir dieses Mal nicht schlafen.
Wir hatten beruflichen Kontakt zur Universität in Tallin und würden in deren Gästehaus ein Appartement belegen können.
Also – was gabs da noch zu überlegen.
Alle Fragen waren geklärt
In einem kurzen, zweistündigen Flug sind wir nach Tallinn gekommen und sind über die Begrüßung durch eine warm strahlende Sonne, über wolkenlosen Himmel mehr als erstaunt.

Tallinn ist die Hauptstadt Estlands und liegt am Finnischen Meerbusen, etwa 80 Kilometer südlich von Helsinki und hat etwa eine halbe Million Einwohner.
Und eine Menge Touristen, auch jetzt noch zum Ende der Hochsaison hin.

Die Italiener haben diese Stadt auch schon entdeckt, so dass an jeder Straßenecke eine Pizzeria oder eine Gelateria zu finden ist, die einheimischen Anbieter von Handgestricktem begnügen sich mit dem Verkaufsstand auf dem Rathausplatz.

Für uns ist der Aufenthalt in dieser Stadt angenehm, spricht doch der/die/Este/Estin meist auch unsere Sprache.
Womit wir unweigerlich in der Geschichte dieser Stadt landen.
Tallinn hieß früher, ich habe das durch Studium meines alten Schulatlasses aus den 50 ern noch überprüfen können, Reval und dem schlauen Internet habe ich entnommen, dass die Amtssprache dieses Landes bis 1889 deutsch war.
Seit 1230 war Reval von deutschen Kaufleuten besiedelt, man hat sie mit Zollfreiheit belohnt und mit Land belehnt.

Die Oberschicht in dieser Stadt bestand beinahe ausschließlich aus Deutschen, die mit der Hanse Handel in Rußland trieben.

Reval hatte sich zusammen mit den Städten Pernau und Riga in Form eines sogenannten Stapelrechts verpflichtet, Waren aus Russland für mindestens 3 bis 8 Tage auf ihren Marktplätzen anzubieten.

Somit wurde Reval zur wichtigsten Stadt des hansischen Osthandels, der ja bis Nowgorod reichte.

Der Reichtum dieser Stadt führte übrigens zum Bau der Olaikirche, die Mitte des 16.Jahrhunderts errichtet wurde und bis 1629 das höchste Gebäude der Welt war.
Sagt der eine Prospekt, der andere behauptet, das sei ein Irrtum, ein Messfehler.
Tatsache ist, dass sie acht mal vom Blitz getroffen wurde und drei mal abbrannte
Nach dem letzten Brand wurde sie nur auf die mickrige Höhe von123 Metern wieder aufgebaut.
Das ist doch schon einmal eine interessante Geschichte dieses kleinen Landes.
Interessantes aus der Jetztzeit verrät die Angabe, dass sich die höchsten Wolkenkratzer Tallinns, das Swissotel und das Hotel Tornimäe Maja gerade mal in der Höhe um 2 Zentimeter unterscheiden.
Hat sich damals der Architekt nichts gedacht oder haben ihm diese zwei Zentimeter gereicht, um sich das Attribut “ Erbauer des höchsten Gebäudes der Hauptstadt“ verleihen zu können?
Im Stadtplan werden beide mit 117 Meter angegeben, aber das ist mir, bei dieser Sachlage, natürlich viel zu ungenau.
Allerdings wollte ich nicht der Ingenieur gewesen sein, der mit der Höhenmessung betraut war. Ich kanns beurteilen, war ich doch mal Vermessungsingenieur.
Zwei Zentimeter!
Da bricht mir ja jetzt schon der Angstschweiß aus, wenn ich bei einer fehlerhaften Messung an die Regressforderungen des unterlegenen Bauwerks denke.

Der Rathausturm, den wir natürlich bestiegen haben, führt auf eine Höhe von ungefähr 64 Meter ( für ihn reicht diese Höhenangabe) und erlaubt seit dem Jahr 1400 somit eine prächtige Sicht über die Stadt und den Hafen auf die Ostsee.

Deren Wasser reichte damals noch bis an die Stadtmauer heran, heute müssen wir eine Strecke zurücklegen, die müde machen kann, um vor allem die Fährschiffe aus Helsinki begrüßen zu können.

Sie bringen nur finnische Tagestouristen mit, die alle ein kleines Wägelchen hinter sich her zerren, abends ist das der Alkoholtransporter, der die geistigen Inhalte der Flaschen leichter zollfrei nach Helsinki transportiert.
Eine Schnapsidee zum Schnapstransport.
Am Hafen sehen wir die Gedenktafel für die Opfer der Schiffskatastrophe, die mit dem Untergang der Estonia 1992 zu beklagen waren.
In den verwinkelten Gassen der mittelalterlichen Altstadt haben wir uns wohl die ersten Tage einige Male verlaufen, aber der „Aufblick“ nach den höchsten Gebäuden der Stadt erleichtert uns die Orientierung.

Abends begeben wir uns auf Futtersuche und finden eine typisch estische Speise, die wir auch in der Pfalz essen hätten können, nämlich Blutwurst mit Sauerkraut.
Prächtige Häuser der Kaufmänner, der Gilden und der Zünfte reihen sich in den Straßen giebelseitig aneinander und lassen erkennen, wie man es damals zu Reichtum bringen konnte.
Damals, als hier nach Lübischem Recht geurteilt wurde.
Lübeck war zur Hansezeit die wohl wichtigste Stadt im Ostseeraum, dann kam aber gleich Reval.
„Dicke Berta“ und „Langer Hermann“ sind von weitem zu sehen, sie bewachen seit dem Mittelalter die Stadt und eine alles umschließende Stadtmauer von gewaltigen Ausmaßen machte das Leben in diesen wilden Zeiten recht sicher.

Etwa 5000 Menschen lebten hier in der Blütezeit des Hanse-Handels.

Und weil wir schon immer Superlative lieben, bemerken wir auch schnell, dass hier am Rathausplatz, etwas im Winkel versteckt, die älteste Apotheke Europas liegt.
Nebenan die Krambude, die uns ahnen lässt, welche Tinkturen und Gewürze vor 500 Jahren zur Heilung eingesetzt wurden.
Die Krambude quillt über, denn Touristen lieben das Mittelalter.

In die Apotheke, die seit 1422 immer noch ihre Türen öffnet, kannst du ohne Bedenken eintreten, wenn dir der ungewohnte Verzehr von Blutwurst und Sauerkraut Bauchkrämpfe bereiten sollten.
Der Besitzer ist aber auch einer Nur-Besichtigung aufgeschlossen.

Am nächsten Tag haben wir vor, entweder in der „Olde Hanse“ oder im „Peppersack“ zu essen, die Fressmeile auf dem Rathausplatz wollen wir nicht in Anspruch nehmen.

Und weil uns vor dem Peppersack fünf bildhübsche Mädchen erwarten, die eigens zu unserer Bedienung abgestellt sind, fällt uns ( mir ) die Entscheidung leicht.
Hier wird man (frau) sich um uns kümmern.

Eine phantasievolle Speisekarte mit Anlehnung an den mittelalterlichen Speiseplan überrascht uns im dunklen Kellergeschoß bei mittelalterlichem Musikspiel.

Da kommt das Zurschaustellen der Bedienung des Olde Hanse heute mit ihren Darbietungen nicht dagegen an.
Leicht die Miene verziehend- eine alte Flöte erzeugt schon mal einige Dezibel und hier versuchen gleich drei junge Frauen, auf der Empore sitzend, den Gästen ein musikalisches Spektakel zu bieten – nehmen wir bei Kerzenschein Platz, draußen scheint die Sonne.
Wir durchblättern und studieren die gesamte handgeschriebene Speisekarte, das dauert schon so eine halbe Stunde und entscheiden uns dann für ein Gericht, das man vor einigen hundert Jahren den aus Nowgorod zurückgekehrten Kaufleuten kredenzte.

Nach dem Verzehr des Bärentellers und ermattet vom Genuss eines Gran Reserva Rioja stellen wir uns zwei Fragen:
Reichten die Handelsbeziehungen der Hanse bis nach Spanien und verflixt, stehen Bären nicht unter Naturschutz?
Über eine dritte Frage erkundigten wir uns am nächsten Tag bei unseren Gastgebern.
(Fortsetzung)