………….ein herrlicher Blick hinunter auf den nahen Ozean in Richtung Westen mit seinen unzähligen Buchten, auf die Barnaderg Bay und Ballynakill Harbour, auf Killary Harbour und Achill Island, Clare Island und Inishturk Island……

Weit, weit im Westen Irlands.
Der Connemara Nationalpark.
1980 erst eröffnet, um die typische Landschaft Connemaras vor dem Zugriff des modernen, kapitalorientierten Menschen ein bisschen in Schutz zu nehmen.

Schutz müssen wir an diesem Sonntag im September nicht suchen.
Kein Regen, kein Wind, nur Sonne am blauen Himmel.

Ein herrlicher Sonn(en)tag mit meilenweiter Sicht auf den Atlantik Richtung Amerika.
Das gelingt am besten von der Spitze eines Berges, der, wohl nur 445 Meter über dem Meer und seit 2006 durch einen angelegten Klettersteig, nein ich will nicht übertreiben, es ist eigentlich nur ein Wanderweg, der auf seinen Gipfel führt, Zielpunkt vieler Touristen ist.

Vieler?
Gut, so 10 bis 20 werden es an diesem Tag schon sein.

Im Besucherzentrum informieren wir uns über die Besonderheiten der Landschaft, versorgen uns mit Getränken und machen uns auf den Weg.

He, ganz schön steil, man kann also hier ruhig mal von einer Erstbesteigung reden, ist es doch unser erster Urlaub in Irland.
Wir waren am Morgen von unserer Unterkunft in Oughterard losgefahren.
Mutterseelenallein auf der Straße Richtung Cliffden, dann aber vorher abgebogen und zwischen den Gebirgszügen „Maumturks Mountains“ und den „Twelve Bens“ nach Letterfrack ins „Ocean and country visitor center“ gefahren.


Links unserer Straße liegt der eisblau schimmernde Lough Inagh.
An dessen Rändern sind ab und zu ein paar Schafe zu sehen und die uns zu einem Fotostopp zwingen.

Meine Liebste liebt nämlich Schafe und bald sehe ich sie nicht mehr, weil sie einige der haarigen Wollebüschel tief ins Gelände hinein verfolgt.

Herrlich hier, die Stille, die Landschaft.
Der Blick in die etwas milchig scheinende Septembersonne.
Herrlich.
Ich lege mich ein wenig, angelehnt an einen Weidezaun, ins Gras.
Für mich interessieren sich zwei Pferdchen, die zutraulich zu mir herkommen.
Ja, das sind sie.

Connemara Pony’s sind mir wohlbekannt, waren wir doch einmal Besitzer eines Welshponys und hatten uns mit dem Gedanken getragen, als unsere Töchter größer wurden, uns ein solches zuverlässiges Pony in Beinahpferdegröße anzuschaffen.
Dass es dann gleich ein Trakehner wurde, liegt an meinem Größenwahn, weniger an den Reitkünsten meiner Töchter.

Die am Informationszentrum erworbene Wanderkarte macht uns klar, dass wir den Diamond Hill nicht nur besteigen werden, sondern sogar umrunden.
Ist der Weg doch so angelegt, dass sich Aufsteiger und Absteiger auf keinen Fall begegnen und deshalb eventuell ins empfindliche Moorgebiet ausweichen müssen.

Sich eventuell die Schuhe schmutzig machen, denn, ich habs gesehen, einheimische Besucherinnnen können durchaus in Sandälchen unterwegs sein.
Ich komme mir in unserer Bergausrüstung ein bisschen overdressed vor.
Allerdings bemerke ich, dass diese Damen meist nur den „Lower Diamond Hill Walk“ begehen.
Wir werden uns jedoch über den „Upper Diamond Hill Walk“ ans Gipfelkreuz hinaufkämpfen.

Purple moor-grass bedeckt den ganzen Hügel und gibt ihm im Sonnenschein ein wenig den Charakter der Lüneburger Heide.
Bäume sind nur im Bereich des Besuchszentrums zu sehen:
Auf dem Hill Walk allerdings kann man die Reste von 4000 Jahren alten Pinienstümpfen bemerken, sofern man seinen Blick nicht immer nur auf den Gipfel richtet.


Sie sind der Beleg, dass diese Berge vor langer Zeit bewaldet waren.
Tja, wer hat sie abgeholzt?
Klimaverschiebung?
Ungeklärte Fragen.
Eine reiche Tierwelt soll sich hier rumtreiben.
Allerdings bemerken wir nur im verwilderten Gebüsch aus Schlehen, Rotdorn und Weißdorn, dass dieses Gebiet ein Eldor(n)ado für Vögel ist.

Vor allem die reizenden Rotkehlchen spürt meine Liebste mit ihren Adleraugen im dicken Unterholz auf, während mein Auge sich mehr auf die akrobatischen Flügkünste der Krähen im Aufwind am Berg richten.

Ich setze mich auf einen riesigen Granitbrocken am Wegrand, während meine Liebste auf einem anderen Brocken sitzend die Wanderkarte studiert und schaue einem Roten Milan bei seinem Segelflug zu.
Dass wir getrennt sitzen ist noch nicht die Folge des berüchtigten Bergkollers, von dem jeder geübte Bergsteiger zu berichten weiß.
Herrlich, so könnte ich den ganzen Tag sitzen.
Müssen wir unbedingt auf die Bergspitze?
Wo geht’s lang?

Meine Liebste geht voraus.
Jetzt ist aber Schluß mit meinen Ausruhphantasien.
Jetzt muss wieder jeder Schritt vernünftig gesetzt werden, denn die letzten Meter der Bergbesteigung sind kein Kinderspiel.

Geschafft.
Ein herrlicher Blick hinunter auf den nahen Ozean in Richtung Westen mit seinen unzähligen Buchten, auf die Barnaderg Bay und Ballynakill Harbour, auf Killary Harbour und Achill Island, Clare Island und Inishturk Island.


Ich setze mich wieder mal ins Gras und genieße.
Ich habe gar nicht gewusst, dass ich so ein Genießer sein kann.
Unser Blick Richtung Osten wird vom langgezogenen Kylemore Lough gefangen genommen, an dessen Ende Kylemore Abbey im Sonnenlicht funkelt.

Eine frische Brise zwingt uns in den Windschatten der hier reichlich herumliegenden großen Felsbrocken.
Schließlich haben wir Durst und Hunger, dass wir uns aber ungeprüft einfach so auf den moorigen Boden setzen, hat Folgen.
Schafknöttel und Feuchtigkeit zwingen mich schnell wieder in die Höhe, dann sich doch lieber dem Wind entgegengestemmt.
An Tagen mit schlechten Wetterbedingungen kann es hier ganz schön ungemütlich werden, habe ich doch genügend Reiseberichte im Internet studiert, wo die Berichtenden beinahe weggeweht wurden oder total durchnässt wieder unten ankamen.

Das passiert uns heute nicht.
Wir haben unwahrscheinliches Glück mit dem Wetter und werden 12 Tage lang nur Sonnenschein erleben.
Und das will für Irland etwas so Ungewöhnliches sein, dass sich die Einheimischen noch in zig Jahren an diese wolkenlose Zeit erinnern werden.

Am Gipfelkreuz – eh, hier gibt es gar keins, nur ein lockerer Gesteinshaufen – verweilen wir nur kurz, schade eigentlich, ein nettes Rastplätzchen.

Ich mache mir erst auf dem Weg zum Abstieg so meine Gedanken, weshalb eigentlich immer ein Kreuz auf dem Berggipfel aufgestellt wird.
Das ist doch ein religiöses, christliches Symbol und hat mit dem Bergsteigen nichts zu tun.

Man wundert sich darüber eigentlich schon nicht mehr, aber ich weiß, dass dieser Brauch in Europa so erst gegen 1800 seinen Ausgang nahm.
Über ein Gipfelkreuz habe ich mich eigentlich nur im Sinai auf dem Berg Mose gewundert.
Nicht über seine Form oder eine schriftliche Besonderheit, sondern dass Kreuze in einem muslimisch orientierten Land geduldet werden.


Auf dem Abstieg, immer der sinkenden Sonne entgegen, überholt uns bald eine holländische Familie.
Papa trägt den Einjährigen in der Rückenkraxe und Mutter stürmt mit ihrer etwa 5 Jährigen Tochter an uns vorbei.
Man sieht ihrem hochroten Köpfchen an, dass sie stolz auf ihre Bergbezwingung ist und sich vielleicht auf das versprochene Eis freut.

Am Bergfuß begrüßt uns wieder das Gezwitscher unzähliger unsichtbarer Vögel im Gebüsch und wenige Minuten später ein heißer Kaffee mit Sahnetorte im windgeschützten Innenhof.

Herrlich.
Die wärmende Sonne auf dem Anorak und die, von den schweren Wanderstiefeln befreiten, Füsse auf der Sitzbank.
Bitte, lass mich hier noch ein wenig sitzen.
Aber meine Liebste weiß, dass uns in Killary Harbour eine Woolmill erwartet.
Die die Wolle der einheimischen Schafe zu herrlichen Decken und Plaids verarbeitet und wenn einmal ihr shopping-instinct geweckt ist, gibt es kein Verweilen mehr.
Zudem wir noch unbedingt Kylemore Abbey besichtigen wollen, das uns von der Gipfelhöhe regelrecht zugewinkt hat.

In einer kleinen Pause am Ufer des Kylemore Lough bewundern wir den Baustil dieses Klosters.
Tudor?!
Ja, es ist ein Kloster und noch keine Nobelherberge.
Der Eintritt ist uns aber zu teuer, zudem müssen wir noch den gesamten Killary Fjord nach Leenaun ins „sheep and wool center“ zurücklegen.

Die Geographen streiten sich noch, ober es sich bei diesem Gewässer wirklich um den einzigen Fjord Irlands handelt.
Auf mich hinterlässt er jedenfalls diesen Eindruck, er scheint tief genug zu sein, um die zahlreichen schwimmenden Fischbecken mit genügend Sauerstoff versorgen zu können.
Von hier könnte unser irischer Lachs sein, den wir zum Frühstück an der Frühstücksbar vorgefunden hatten und – darf man das ? – den wir uns auf zwei Brötchen gelegt hatten, die heute unsere Hauptmahlzeit ausmachen.
Ja, wir sind genügsam und legen uns am Ende des Fjords, beinahe zu Füßen der Eingangstür zum Wool-Center auf harten, glattgeschliffenen, aber von der Sonne angewärmten Granit.
Herrlich.
Nur ein paar Minuten noch.

Was?
Die schließen in einer Viertelstunde!
Dann aber los.
Tapfer widerstehe ich dem Versuch meiner Liebsten, mir einen Pullover aus Schafwolle von den Aran-Inseln anprobieren zu wollen.
Zu dick fürs warme Rheintal.
Man kommt bei gefühlten 30 Grad einfach nicht in Kauflaune.
Als Mann.
Als Frau sieht das schon etwas anders aus.

Ein gedanklicher Jahreszeitensprung zwingt meine Liebste geradezu dazu, eine hüftlange Strickjacke zu erwerben.
Gemeinsam entscheiden wir uns für den Kauf eines Plaids aus langfasriger Merinowolle.
Und auch an unsere Enkelchen denken wir, die brauchen garantiert im eiskalten deutschen Winter Hausschühchen mit innenliegender Schafwolle.

Ein Glück, wir können mit Scheckkarte bezahlen, so wird unsere Urlaubskasse nicht geschmälert.
Ha, ha, so funktioniert Selbsttäuschung.

Von Leenaun aus befahren wir die R 336, ein winziges Sträßchen, das sich zwischen den etwa 700 Meter hohen Bergen hindurchschlängelt und nach Maam Cross führt.

Von dort aus ist es ein Katzensprung an unseren Heimatort Oughterard am Ufer des Lough Corrib, Irlands größtem Binnensee.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich die ersten Fotoveröffentlichungen in verschiedenen alpinen Fachzeitschriften, im Bergsteigermagazin, in den MountEverest-News, in..
Ich, Erstbezwinger des Diamond Hill.

Zum Sonnenuntergang im Straßencafe noch schnell einen Tee, mit viel Milch und Zucker.
Herrlich!
Die Bezwingung eines solchen Bergriesen hat meine Kräfte aufgezehrt.
Heute abend gibt’s entweder „Brown Stew“, oder…………………ich mache morgen nicht mehr mit.