……unsere Gastgeberin erklärt uns, dass sie den Anblick der Mac Gillicuddy’s Reeks beinahe täglich genießt, in ihren Worten „a breathtaking view“…..
Rechts oder links rum ?
Mit oder gegen den Uhrzeigersinn?
Und dabei den Linksverkehr beachten!
Ja, wer sich intensiv auf seinen Irlandurlaub mit dem Mietwagen vorbereitet, kommt an dieser Entscheidung nicht vorbei.
Danach haben wir unseren Übernachtungsort „Killorglin“ ausgewählt, weil mir doch zu viele widersprüchliche Informationen im Netz begegnet sind.
Jetzt, an Ort und Stelle, werde ich selbst entscheiden!
Aber nach welchen Kriterien?

Unsere Gastgeberin Mary meint, es sei egal und unser einziger Mitbewohner im Guesthouse, Michel aus Frankreich, weiß gar nicht, dass man die Halbinsel – zumindest als Deutscher – umfahren kann.
Er ist jetzt im 24. Jahr (!) auf Angelurlaub bei Mary und die anstrengende Unterhaltung mit den Seeforellen hat ihm die Sprache geraubt.
Er weiß das selbst und gibt es lachend zu.
24 Jahre am gleichen Ort, 4 Wochen lang hüfthoch im gleichen Fluss stehend und die Seeforellen unterscheiden sich auch nicht wesentlich.
Und zuhause in Frankreich lebt er am Unterlauf der Loire und geht täglich fischen!
Allerdings zahlt er dafür einen hohen Preis. Er hat keine Frau gefunden, die dieses Hobby mit ihm teilen will.
Er ist an diesem Morgen etwas aufgebracht, denn gestern hat kein einziger Fisch gebissen.
Es ist einfach zu warm, zu wenig Regen und dann noch dies: er hat gestern in seinem Dieselauto versehentlich Normalbenzin getankt.
Nein, da kann ich ihm auch nicht helfen.
Mir hilft ja auch niemand bei der Entscheidung: Rechts rum oder links rum?
Irgendwie spricht es heute aus mir heraus : Links rum.
Juhu, ich habe eine Entscheidung getroffen:
Gegen den Uhrzeigersinn.
Also links rum im Linksverkehr auf Kerry’s Straßen.
Natürlich wollen wir die Halbinsel Iveragh umrunden.
Das gehört zu jeder Urlaubsplanung.
„Was, ihr wart in Irland und seid nicht den Ring of Kerry gefahren?“
Diese Frage wollte ich mir nicht stellen lassen, wenn wir zuhause von unseren Abenteuern erzählen.
Aber jetzt im September wäre diese Entscheidung nicht nötig gewesen.
Nix los auf der Ringstraße.
Der Sommer ist vorbei, die meisten Touristen scheuen den September und somit ist die Straße busfrei.
Beinahe.
Aber zur Hochsaison kann das ein Problem werden.
Hunderte von Bussen, sagt das Internet, starten so gegen 10 Uhr in Killarney und machen sich alle in die gleiche Richtung auf den Weg.
Links rum zunächst nach Westen.
Und da hast du als Kleinwagenmieter keine Chance mehr auch nur ansatzweise ans Überholen zu denken.
Die größten Straßen Irlands können an neuralgischen Punkten die Breite eines deutschen Feldweges annehmen – sollte man berücksichtigen.

Von unserem Frühstücksplatz aus sehen wir die Berge der Halbinsel Iveragh im Morgendunst vor uns liegen.
Mary, unsere Gastgeberin erklärt uns, dass sie diesen Anblick der Mac Gillicuddy’s Reeks täglich genießt.
In ihren Worten „a breathtaking view“ und Irlands höchster Berg, der Carrauntoohill ( auf gälisch: Corran Tuathail) mit etwas mehr als 1000 Meter, begrüßt sie also täglich beim Frühstück.
Dieses „breathtaking“ werden wir in unseren Sprachgebrauch übernehmen und im Laufe dieses Tages noch einige Male anwenden können.

Mary hat uns das Frühstück bereitet, typisch irish, viel Wurst, eggs and ham, Bohnen, anschließend ein Marmeladebrötchen, einen Kaffee und noch etwas Orangensaft.

Diese Stärkung müsste mindestens bis zur nächsten fish and chip-Bude am Straßenrand anhalten.
Wir starten also sehr entspannt von unserer Unterkunft „Dromlin House“ bei Killorglin zur links rum Fahrt.
Michel verabschiedet sich von uns.
Ich wünsche ihm eine Menge Petri Heil und glaube einen leichten Schmerz um seine Mundwinkel herum zu sehen.
Mit Menschen unterhält man sich halt doch lieber als mit Fischen.
Leider erst nach einigen hundert Metern Fahrt kommt mir der Gedanke, dass ich ihn als Fischkenner nach einem guten fish and chips Restaurant in der Nähe hätte fragen können.
Aber wahrscheinlich hätte er abgewunken.
Pengasius Filet aus Vietnam gemurmelt, in zentimeterdicker angebratener und frittierter Mehlpampe.
Nein, so was kommt ihm nicht mal in die Nähe seiner Lippen, geschweige denn in seinen Magen!
Ein herrlicher Tag.
Es ist der 10. September und wir genießen nun schon den fünften wolkenfreien Tag in Irland.
Nein, ich lüge nicht.
Wenn ich wolkenlos sage, dann meine ich wolkenlos.
Eines der seltensten Naturschauspiele in Irland.
Breathtaking!
12 Tage werden wir unterwegs sein und nicht einen einzigen Regentropfen verspüren.
Dafür zweimal die Badehose anziehen und in den Atlantik springen.


Gut, dazu gehört ein bisschen Mut, aber die Sonne wärmt die erstarrten Glieder.
Irgendwie erwische ich in Killorglin die falsche Abfahrt und merke erst nach einigen Kilometern, dass das heute nichts mehr wird mit der Ringstraße.
Mit dem „Ring of Kerry“, dass wir auf direktem Weg zur Dingle Peninsula sind und nach kurzer Absprache auch auf diesem Weg bleiben werden.
Verflixt, warum habe ich mich nicht gleich für die rechts rum Fahrt entschlossen.
Und jetzt treffe, Geograph von Beruf, ich nicht einmal auf die über 1000 Quadratkilometer große Halbinsel „Iveragh“ und muss mit ihrer kleineren Halbschwester „Dingle“ Vorlieb nehmen.
So nutzlos kann Urlaubsvorbereitung sein, wenn man einmal(!) im Linksverkehr nicht richtig aufpasst und die falsche Ausfahrt nimmt.
Ich erinnere mich an einen Ausspruch des großen Polarforschers Roald Amundsen :
„Adventure is a bad planning.“
Na, da werden wir heute aber zu echten Abenteurern, denn für die Halbinsel „Dingle“ habe ich mich gestern abend weder eingelesen, noch habe ich irgendwelches Kartenmaterial dabei.
Ohne konkretes Ziel zuckeln wir gemütlich dahin.
Von der Sonne begleitet, an riesigen Stränden vorbei und immer ein bisschen in Sorge, dass die blendende Sonne uns einen entgegenkommenden Lastwagen übersehen lässt.
Damit ist auf den schmalen Straßen nicht zu spaßen.
Aber ich habe ja eine aufmerksame Beifahrerin, die vor allem die roten Blüten am Straßenrand ins Auge gefasst hat.
Was sind das nur für Büsche, mannshoch, nein, sogar manchmal baumhoch, die hier eine leuchtend rote Orgie an den Straßenrand zaubern?
Bei erstbester Gelegenheit stellen wir unser Auto ab und untersuchen diese bezaubernden Blüten.
Schlecht vorbereitet wie wir sind, vermuten wir zunächst mal „einiges“ nach unseren deutschen Gärtnererfahrungen.
Es müsste eine Fuchsie sein.
Eine Fuchsie?
Baumhoch?
Das fällt uns schwer zu glauben, aber vielleicht ist hier irgendwo ein Atomkraftwerk undicht geworden.
Haben sich aus unseren aus Deutschland gewohnt mickrigen Kübel- Fuchsien hier durch Mutationsvorgänge Riesen entwickelt?
Wir werden schnell darüber aufgeklärt, als wir am Touristenbüro in Dingle anhalten, um nach Kartenmaterial zu fragen.
Dabei stoßen wir auf eine Ausstellung, die die typischen Pflanzen der Dingle Peninsula zum Inhalt hat.
Es ist doch tatsächlich eine Fuchsie, die hier den Namen des Landstriches trägt.
Die Kerry-Fuchsie ( fuchsia magellanica ).
Aus Chile importiert so in den 1850ern .
Und in den 1930ern entlang allen Straßen Irlands als heckenbildende Pflanze angepflanzt.
Kilometerweit wird sie uns in den nächsten Tagen am Straßenrand begleiten.
Irgendetwas müssen wir zu Hause mit diesem Pflänzchen falsch machen, denn über Kniehöhe haben wir es mit unserer Gieß-und Düngetechnik noch nie geschafft.

Während meiner Vesperpause, gemütlich auf einer Bank in der Sonne sitzend, vor dem Touristenbüro in Dingle, werde ich von einer rothaarigen Irin ( Kinder, ich erzähle keine Märchen) angesprochen.
Sie drückt mir ihr Handy in die Hand und bittet mich ein Foto von ihr zu machen.
Mach ich doch gerne.

Also auf die Lippen fokussiert und abgedrückt, das muss was geworden sein.
Sie schaut sich im Schatten ihrer Hand das Ergebnis an und………. ist nicht zufrieden!
Ich möge es noch einmal versuchen, aber diesmal bitte mit mehr blauem Himmel.
Sie wolle dieses Bild für alle Zeiten in ihrem Fotoalbum aufbewahren.
Als Erinnerung an die Tage des Septembers 2014, an denen der Himmel über der Westküste Irlands vollkommen wolkenfrei war.
Gut, schneide ich ihr halt die Beine ab.
Auf dem Foto.
Dann macht sie sich wieder auf den Weg, lacht und ruft mir zu, sie habe nur ihre Arbeit unterbrochen, um diesen Augenblick festzuhalten.
Und ich hatte schon an den Beginn einer Romanze gedacht.
Nicht gerade romantisch dringt mir der Ton einer irischen Flöte ins Ohr, die hinter einem Touristenbus erklingt.
Ihre Melodie mischt sich mit dem Schrei der Möwen zu einem gewagten Medley.
Als die vielen älteren Damen den Weg aus dem Bus heraus geschafft haben und die Touristenkutsche auf ihren Parkplatz fährt, sehe ich die menschliche Quelle des musikalischen Übels.

Barfuß, im Schäferwagen mit Hund und Esel unterwegs und dazu die irische Flöte.
„Amazing“ sagt der Engländer zu solchen Szenen und wenn dann auch noch der Flöte das weltberühmte „Amazing grace“ entlockt wird, dann ist der Verdienst des wolkenfreien Tages einen Eintrag im Sparbuch sicher wert.
Best day of moneymaking in 2014.

Mehrere Pubs umschließen den Parkplatz am Hafen von Dingle.
Die Shops bieten ihre Wolljacken auf der Straße an und eigentlich könnte ich auch in Florenz im Urlaub sein, wenn ich, den Schatten suchend, die Anzahl der geparkten Busse zähle.
Ach so, halt, Florenz liegt ja nicht am Meer, Dingle sehr wohl.
Das merkt ein älterer Herr sehr deutlich, als eine Möwe ihre Hinterlassenschaften zielgenau auf seiner Schulter, zum Gelächter seiner Mitreisenden, ablädt.
Es wird für mich Zeit, den Hafen mal etwas genauer zu inspizieren und die Brise, die über das absolut wellenfreie Meer herüberweht, zu genießen.
Hier treibt sich seit 1984 ein Delphin herum, der beinahe täglich die Nähe der Menschen sucht.
Mich hat er leider nicht zu den Auserwählten erkoren, die er in seine Nähe lässt.
Natürlich hat er einen Namen.
„Fungi“, wobei mich das mehr an Pilze erinnert.
Und natürlich hat man ihm auf dem einzigen größeren Platz in Dingle ein Bronze-Denkmal gesetzt.
Tourismusfördernde Maßnahme.
Ich werde mir doch keinen Sonnenbrand holen?
Unglaublich, wenn man bedenkt, dass es in Irlands Geschichte Jahre gibt wie das Jahr 1816, das als das „Jahr ohne Sommer“ verzeichnet ist.
Der zuvor ausgebrochene Vulkan Tabora in der Kamtschatka hatte das Klima weltweit beeinflusst und damit die Grundlage für die Verbreitung eines Pilzes geschaffen, der später die große Hungersnot in Irland, „The Great Famine“ , auslösen wird.
Celtic Mist.
Ja, Irland war schon immer von Hungersnöten katastrophalen Ausmaßes betroffen.
So hatte bereits 1740 „The Great Frost“ 480 000 Iren das Leben gekostet.
Von Dezember bis tief in den Mai waren sämtliche Flüsse und Seen Irlands zugefroren.
Die darauf folgende nur etwas wärmere Sommerzeit brachte keinerlei Niederschlag und ab Oktober erfasste eine erneute Kältewelle die Insel.
Die Auswirkungen der „Great Famine“ etwa hundert Jahre später waren für Irland noch dramatischer, so dass diese erste Hungerwelle durch den großen Frost heute beinahe in Vergessenheit geraten ist und daher im Geschichtsbuch unter „The lost great frost“ zu finden ist.
Nicht vergessen werden die Iren diese Tage im September 2014, als zwei Wochen lang die Wolken sich am irischen Himmel rar machten und die überall angebotenen Wollpullover aus echter Aran-Island-Schafwolle sich zum Ladenhüter mauserten.
Dingle, mit seinem kleinen Fischerhafen, wahrscheinlich relativ bedeutungslos für die irische Fangflotte, die, man mag es kaum glauben, sowieso recht klein ist, hat ein exquisites Marineaquarium namens „Oceanworld“ und lockt damit natürlich eine Menge Touristen an.
Aber wie kommt es, dass auf der irischen Insel die Fischerei so gut wie keine Rolle spielt?
Irland hatte immer gute und vor allem genügend Ackerböden, so dass ein Zwang, unbedingt aus dem Meer die Nahrung zu gewinnen, nicht nötig war.
Das unterscheidet die Iren von den Isländern.
Allerdings wurde das ihnen auch zum Verhängnis, als in der großen Hungerskatastrophe von 1845 – 1849 Millionen Iren verhungerten, nur weil die Ernte ihrer Kartoffeln von der Fäule betroffen waren.
Schlimme Zeiten für Irland.
Herrliche Sommerzeit heute.
Aber bevor mich jetzt der Hitzschlag trifft, beschließe ich den Ort zu verlassen und mich nach einem schönen Stückchen Strand umzusehen.
Fünf Minuten Fahrt gen Westen und ich liege für die nächsten 2 Stunden im warmen Sand.
Alles phantastisch, wenn nur nicht die Fish and Chip Bude schon dicht gemacht hätte.
Selbst ein Pengasiusfilet würde ich jetzt verdrücken.
Es wird schwierig, mit rumorendem Magen einfach so still herumzuliegen und aus den Augenwinkeln die tolle Landschaft zu erahnen, die ich nun auf Grund meiner Faulheit heute wohl nicht mehr zu sehen bekommen werde.
Aber ich amüsiere mich am Spiel der Kinder, die ihren Hund darauf abgerichtet haben, dass er ihnen Löcher in den Sand buddelt.
Spätestens nach fünf Minuten Buddelei sehen sie wie Sandmumien aus und stürzen sich zur Reinigung ins Meer.
Nur der Hund macht dabei nicht mit.
Beim Baden, wohl aber beim Kläffen.
Also mit der Ruhe ist’s jetzt wohl auch vorbei und ich plane die Heimreise auf meiner kurz zuvor erworbenen Landkarte.
Zurück nach Dingle und dann quer über die Halbinsel-über den Connor-Pass-in Richtung Tralee abbbiegen.
Das sieht nicht nach Abenteuer aus.

Aber, ein Pass ist ein Pass.
Auch in Irland.
Gerade dieser Pass hat seinen Namen verdient, deutlicher lässt sich optisch dieser geographische Begriff nicht erklären.
Hervorragendes Bildmaterial für den Geographieunterricht mit den breathtaking views nach Norden und nach Süden.
Auf einem leicht zu erreichenden Parkplatz, mit neu aufgestellten Informationstafeln zur Geologie und Fauna dieser Halbinsel, verdrücke ich ein Paket Schokokekse, die ich am Fuß des Passes bei LIDL mit deutlich hörbarem Magenknurren gekauft habe und genieße die „breathtaking“ Aussicht.


Ja, Lidl ist in Irland überall und wenn ich die Aussagen eines Irlandexperten richtig deute, dann macht der Discounter auch dort schon das Preisgefüge kaputt.
Aber das ist mir jetzt ziemlich wurst, denn auf der ganzen Rundfahrt finde ich keinen einzigen Hinweis mehr auf „Fish and Chips“ und mit Krümel über Krümel auf Sitz und Bodenmatte muss ein Mietauto nun mal rechnen.
Endlich sehe ich auch mal ein Schaf.
Das verwundert mich eigentlich auch noch in diesem Moment, als ich diese Zeilen schreibe, wie wenig Schafe uns auf der Rundreise begegnet sind.

Aber irgendwo müssen sie sich versteckt haben, denn Wolle-Läden gibts in jeder Ecke Irlands zu Hauf.
Die werden die Wolle doch nicht aus Australien importieren?
Als wir wieder in unser Auto steigen und gerade die ersten Meter den Pass nach Norden zu hinunterfahren, stoppt uns ein entgegenkommender Autofahrer mit Handzeichen.
Ein ganz kurzes Gespräch von Autofenster zu Autofenster zeigt seine Sorge, ob es auf der anderen Pass-Seite genauso abenteuerlich weiter geht, wie er es auf seiner Anreise auf den Connor-Pass empfunden hat.
Ich will nicht behaupten, dass seine Augen angstgeweitet gewesen wären.
Aber die trockenen Lippen seiner Beifahrerin und kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn hatten sicher nichts mit dem herrlichen Wetter heute zu tun.
Ja, auf Irlands Straßen herumzukutschieren ist nicht einfach.
Ob rechts rum oder linksrum ist eigentlich nicht wichtig.
Du musst so fahren, dass deine Begleiterin möglichst nie in den Abgrund schauen kann.
Und das wäre auf der Dingle Peninsula mit dem Uhrzeigersinn.
Auch wenn dir dafür beim Chauffieren der Kontrollblick auf den 50 Zentimeter entfernten Abgrund wichtiger ist, als der „breathtaking view“ in die Ferne.