……….Rotkäppchen muss erst durch den dunklen Wald, um ihrer Großmutter………
Wenn man in Frankreich von Lust redet, dann meint man Liebe und Essen.
In Deutschland hat sich das Wort „Lust“ mit dem Wald seit langer, langer Zeit verbrüdert zur Waldeslust.
Kein Volk Europas hat solch eine innige Beziehung zum Wald wie wir Deutschen.
Vielleicht weil wir nach Schweden die größten Waldgebiete Europas aufweisen.
Oder weil uns unsere germanische Vergangenheit noch in den Adern fließt.
Hatten die alten Römer zu jeder passenden Gelegenheit eine Gottheit, der sie einen Tempel errichteten, war Germanien tempellos.
Der Tempel der Germanen war ihr Wald.

Mit ihm als Verbündeten gelang es, die Legionen des Varus vernichtend zu schlagen.
Auch wenn wir heute wissen, dass dieses Geschehen nicht im Teutoburger Wald stattfand.
Aber ganz Germanien war damals ausschließlich Wald.
So dass es eigentlich egal ist, wo die Schlacht stattfand, die den Römern für alle Zeiten die Lust auf die Wälder der Barbaren raubte.

Unter einem Lindenbaum badete Siegfried im Drachenblut.
Unter der Linde wurde Recht gesprochen.
Unter der Linde wurde getanzt.
Und bei den Isländern ist „Irminsul“ der Weltenbaum.

Christliche Missionare fällten zuerst die Eiche des Donar, um den Ungläubigen die Schwäche ihrer Götter aufzuzeigen.
Rotkäppchen muss erst durch den dunklen Wald, um ihrer Großmutter die drei berühmten Fragen zu stellen.
Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald.
Und Hexenhäuser stehen niemals auf der grünen Wiese.
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Tief im Volk verwurzelt ist dieser unheimliche Wald durch Märchen und Mythen.
Die Liebe zum Wald ist dagegen eine Erfindung der Neuzeit.
Und wie mit allem, das man glaubt verteidigen zu müssen, hat man auch mit dem Wald Schindluder getrieben.

Es gab Zeiten, da war Juden der Zutritt zum Wald verboten, groteske Züge, die im Schlagwort gipfelten „ Ewiger Wald – ewiges Volk, es lebt der Baum wie du und ich“.
Je urbaner Deutschland wurde, desto mehr neigten die Dichter und Maler zur Verklärung der Natur.
Und zur Erfindung des Wortes „Waldeslust“, das es nur in der deutschen Sprache gibt.
Und nur wir erfanden das Waldsterben, obwohl es in allen Wäldern Mitteleuropas zu beobachten war.
Die Angst um den deutschen Wald führte in den 8o ern zur Hysterie.
Jetzt glaubt man, dass die Energiewende nicht nur unseren Geldbeutel, sondern auch unseren Wald bedroht.

Das ist vielleicht auch verständlich, hatte man doch Sorge um Tausende Arbeitsplätze, denn in der Forstwirtschaft arbeiten in Deutschland mehr Menschen als in der Autoindustrie, geschweige der Solarindustrie.
Zeitgleich sang Alexandra ein ähnliches Loblied in ihrem Schlager „ Mein Freund der Baum ist tot, er starb im frühen Morgenrot“.
Und Heino hatte mit seinem Lied von der Waldeslust nur ein altes Volkslied kopiert.
Aber das war dann selbst für mich zu viel des Pathos.
Da kann einem die Lust am Wald vergehen.

So wie den Wanderern, die sich dieser Tage tief in einem deutschen Wald verlaufen hatten.
Und dank Handyortung erst in den frühen Morgenstunden nach aufwändiger Suche ihre Retter begrüßen konnten.
Ja, wir glauben, wir hätten die Natur gezähmt.

In Hunderten von Jahren haben Generationen fleißiger Waldler aus dem Urwald unseren Kulturwald geschaffen.
Und dass der nur noch im Entferntesten etwas mit dem deutschen Ur-Wald zu tun hat, lässt uns das, was davon übrig geblieben ist, erst richtig schätzen.

So stürzen sich deutsche Pflanzenphysiologen, Waldökologen und Klimaforscher in den Wald, um Hitzestress und Trockenstress zu untersuchen.
Sie entwickeln Modelle, mit denen sich die Reaktionen eines Baumes auf Umwelt- und Stressfaktoren, aber auch seine Widerstandsfähigkeit beschreiben lassen.
In der Nähe von Großstädten wird den Schulen von der Forstbehörde das „Waldklassenzimmer“ angeboten.
Wer seinen Kleinkindern schon früh die Liebe zum Wald vermitteln will, schickt sie in den Waldkindergarten.
Und ganz am Ende seines Lebens denkt mancher vielleicht für sich darüber nach,
ob ein Plätzchen im Friedwald nicht doch die Ruhe ausstrahlt,
die er zu Lebzeiten immer gehofft hatte zu finden.