…blauer Himmel, silberschimmernde See mit friedlichen, weißen Wellenkämmen, farbenprächtige Fischerboote, Palmen am Hafenkai…
In einem Hafen an einer südlichen Küste Europas sitzt ein ärmlich gekleideter Mann im Schatten seines Fischerbootes und döst.
Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyliische Bild zu fotografieren.
Blauer Himmel, silberschimmernde See mit friedlichen, weißen Wellenkämmen, farbenprächtige Fischerboote, Palmen am Hafenkai.
Klick.
Nochmal klick.
Und da alle guten Dinge drei sind und sicher sicher ist, ein drittes Mal:
Klick.
Das spröde, fast feindselige Geräusch des Auslösers weckt den dösenden Fischer, der sich schläfrig aufrichtet, nach seiner Zigarettenschachtel angelt und sich zu seinen Netzen begibt, die zum Trocknen an der Hafenmauer ausgelegt sind.
Der Tourist, der Landessprache mächtig, versucht durch ein Gespräch seine gereizte Verlegenheit zu überbrücken.
“ Sie werden heute einen guten Fang machen.“
Kopfschütteln des Fischers.
„Aber man hat mir gesagt, dass das Wetter günstig ist.“
Kopfnicken des Fischers.
“ Sie werden also nicht ausfahren?“
Kopfschütteln des Fischers.
Steigende Nervosität des Touristen.
Gewiß liegt ihm das Wohl des einfach gekleideten Fischers am Herzen.
“ Oh, sie fühlen sich nicht wohl?“
Endlich geht der Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über.
“ Ich fühle mich großartig“, sagt er.
“ Ich habe mich nie besser gefühlt.“
Er steht auf, hebt seine Netze an, als wolle er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist.
“ Ich fühle mich fantastisch!“
Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher.
Er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht:
„Aber warum fahren sie dann nicht mehr aus?“
Die Antwort kommt prompt und knapp.
“ Weil ich schon heute morgen ausgefahren bin.“
“ War der Fang gut?“
“ Er war so gut, dass ich nicht noch einmal ausfahren brauche.
Ich habe vier Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen.“
Der Fischer, in der Zwischenzeit mit der Reparatur seines Netzes beschäftigt, schaut zu dem Touristen fragend auf.
Dessen besorgte Miene erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender Kümmernis.
“ Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug!“ sagt er, um des Fremden Seele zu erleichtern.
“ Rauchen sie eine von den meinen?“
„Ja, danke“.
Zigaretten werden in Münder gesteckt.
Der Fremde setzt sich kopfschüttelnd auf die alte Bank, legt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen.
“ Ich will mich ja nicht in ihre persönlichen Angelegenheiten mischen“, sagt er, „aber stellen sie sich mal vor, sie führen heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus und sie würden drei, vier, fünf, vielleicht sogar zehn Dutzend Makrelen fangen.
Stellen sie sich das mal vor!“
Der Fischer nickt.
“ Sie würden“, fährt der Tourist fort, “ nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht viermal ausfahren – wissen sie, was geschehen würde?“
Der Fischer schüttelt den Kopf.
“ Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können.
In zwei Jahren ein zweites Boot.
In drei oder vier Jahren könnten sie vielleicht einen Kutter haben.
Mit zwei Booten oder dem Kutter würden sie natürlich viel mehr fangen – eines Tages würden sie zwei Kutter haben, sie…..“
Die Begeisterung verschlägt ihm für einen Augenblick die Stimme.
“ Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen.
Vielleicht eine Räucherei.
Später eine Marinadenfabrik.
Mit der eigenen Yacht würden sie die Fischschwärme ausmachen und ihren Kuttern per Funk Anweisungen geben.
Sie könnten die Lachsrechte erwerben.
Ein Fischrestaurant eröffnen.
Den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren – und dann…“- wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache.
Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich hereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen.
“ Und dann“, sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.
Der Fischer klopft ihm auf den Rücken wie einem Kind, das sich verschluckt hat.
“ Was dann?“ fragt er leise.
“ Dann“, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung,“ dann könnten sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen – und auf das herrliche Meer blicken.“
„Aber das tu ich ja schon jetzt“, sagt der Fischer, “ ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur ihr Klicken hat mich dabei gestört.“
Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von dannen.
Früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages nicht mehr arbeiten zu müssen.
Aber es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück.
Nur ein wenig Neid.
In Erinnerung an eine Kurzgeschichte von Heinrich Böll mit dem Titel:
„Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“
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