Also gemütlich ist es hier nicht.
Zumindest nicht die Gemütlichkeit, die wir von Deutschland her kennen.
Eine gemütlich warme Stube in der kalten Winterszeit.
Ein gemütlicher Biergarten unter riesigen Kastanienbäumen an einem heißen Sommertag.

Vor drei Tagen sind wir auf dem neuen Flughafen in Bangkok gelandet.

Klimatisch eigentlich viel zu spät, denn jetzt im Juni lässt sich das Klima leicht beschreiben, das uns hier in Thailands Millionen Metropole regelrecht foltert:
41 Grad bei beinahe 100 Prozent Luftfeuchtigkeit.

Davor kann man sich ja schützen.
Denkt der Farang.
Am besten man bleibt im klimatisierten Hotelzimmer oder fährt stundenlang mit dem Skytrain, denn der ist selbstverständlich klimatisiert.

Oder du gehst shoppen.

Unter dem Skytrain- aber noch über der sechsspurigen autobahnähnlichen Stadtstraße -, schön beschattet, schweifst du links oder rechts, je nach Belieben vom Skywalk in eines dieser unvorstellbaren großen und modernen Kaufhäuser ab.

Du flüchtest vor der Hitze, ohne zu wissen, dass dich dein nächster Feind bereits nach wenigen Metern erwartet.
Die Kälte.
Sie trifft dich wie eine unsichtbare Mauer, die irgendein Stararchitekt nur für dich eingeplant hat.
Shoppen im Sibirien Style.

Es müssen dutzende von Groß-Klimaanlagen sein, die stromfressend den Kunden ein winterliches Gefühl im tropischen Thailand verpassen.
Verpassen ist der richtige Ausdruck, denn du kannst dich nicht dagegen wehren.
Findest du es im Eingangsbereich noch erfrischend, herrlich kühl, ziehst du bereits einige Meter weiter leicht die Schultern hoch, weil dich ein kühler Luftzug streichelt.
Stehst du allerdings zehn Minuten beinahe bewegungslos vor einer Umkleidekabine, weil deine Liebste mal schnell ein paar Kleidchen anprobiert, sehnst du dich bereits nach einer wärmenden Tasse Tee, vielleicht mit einem Schuss Rum.
Du suchst, nachdem du im Einkaufsgewimmel deine Liebste wieder gefunden hast, ein warmes Plätzchen, vergebens.
Selbst in der Toilette herrscht Eiseskälte, Eiseskälte, die der Thai noch forciert, in dem er liebend gerne Riesenportionen an Hägen-Daz Eis in sich hineinschlingt.
Du flüchtest, deine Liebste unter Protest hinter dir her zerrend, denn noch sind nicht alle Abteilungen begutachtet, hinaus in Thailands Tropenklima, das vielleicht 15 Minuten zu ertragen ist.

Du versuchst es beim nächsten Kaufhausabgang mal nach rechts, aber – glaube ja nicht, dass eines der Kaufhäuser dem anderen nachsteht.
Wohl im Warenangebot, aber niemals im Kaufhausklima.

Dieselbe Tortur: eine halbe Stunde einkaufen, dann kältezitternd die Flucht auf den glühend heißen Skywalk.

Dort 20 Minuten Wärmetanken, vielleicht dann bis zur nächsten Skytrain-Station zu Fuß, kurz am Haltepunkt für das vollautomatisch fahrende Zugwunder warten und dann wieder ab in die Eiseskälte der Waggons.

Dort sitzen sie, die zierlichen Thaimädchen, auf dem Weg zur Arbeit, adrett mit weißem Blüschen und schwarzem Röckchen gekleidet, in ihr Handy vertieft, keine Notiz von dir und der Hitze nehmend.

Dieses Volk hat kein eingebautes Klimaregulativ.
Noch nie sah ich einen Thai schwitzen.
Nein, selbst die Bauarbeiter auf den zahlreichen Baustellen scheinen Winterkleidung zu tragen, dick vermummt vor allem Oberkörper und Gesichtsbereich.
Aus Sorge, dass ein Sonnenstrahl zu viel sie treffen könnte, ihre Haut bräunen und sie mit diesem untrüglichen Zeichen der untersten sozialen Stufe brandmarken könnte.

Kein Thai sonnt sich freiwillig.
Nur die Farangs tun so etwas Hirnrissiges!
Kein Wetterbericht im Fernsehen, kein Gespräch über das Wetter heute, kein Fluchen auf das für morgen angekündigte Wetter und kein Erinnern an den viel zu heißen Dezember oder den viel zu regnerischen Oktober.

Nein, der Thailänder lebt sozusagen ohne Wetter.
Nur der Farang, wie der Thailänder alle Ausländer nennt, nur der Farang glaubt bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit über das Wetter sprechen zu müssen, in Europa noch verlegenheitsgesprächseinleitend, in Thailand aber auf ein verwundertes Gegenüber treffend.
Auch würde niemals ein Thai sich über die unfachgerecht verlegten Beleuchtungskabel wundern, sich über in Selbstregie abgezapfte Stromleitungen aufregen oder gar an selbstinstallierten Geschäftsauslagenbeleuchtungen nach einem Sicherheitszertifikat verlangen.

Auch darüber brauchst du mit einem Thai nicht zu reden.

Allerdings, wenn du dich auf der Flucht vor Klimaanlagenkälte oder tropischer Naturhitze zu einer Fahrtwindkühlung auf einem Tuk-Tuk oder einem der Motorradtaxi entschlossen hast, dann solltest du intensiv mit dem Fahrer reden.
Nur ein Thema ist wichtig.

Wie teuer ist die Fahrt und welche Umwege hat der Fahrer vor?
Mit dir im Sozius, um an irgendwelche finanziellen Subventionen durch den Besuch eines Juwellerie-Centers oder eine Handycraft Centers zu gelangen.
Manche kurz geplanten Fahrten können zu einer regelrechten Entführung ausarten, nur weil du nicht intensiv genug nachgefragt hast und auch nicht energisch genug auf die schnellste und kürzeste Strecke bestanden hast.
Untrügliches Zeichen für eine solch ausartende Entführungstour ist der unfassbar geringe Fahrtpreis.
Nein, du hattest mal wieder nur den kühlenden Fahrtwind im Kopf ohne daran zu denken, dass allein die Fahrt in einem Tuk-Tuk durch Bangkoks Straßenschluchten deinen Blutkreislauf so strapaziert, dass dir die Ohren glühen, der Schweiß aus dir heraus bricht.
Ja, da brauchst du nicht lange nachdenken, es ist der Angstschweiß, der dir die Kühlung verspricht, aber nicht hält.
Du hast das Ziel erreicht, ohne großen Händel dein Fahrtgeld entrichtet und ziehst dich leicht zitternd in den Schatten eines Tempelbaumes zurück, als dein Blick auf die Reklame eine Biergartens fällt.
Du suchst Schatten.

Bavarian Beer unter Frangipani-Bäumen, im Ausschank natürlich nur Singha- oder Chang Bier, in unserem Falle völlig egal.
Hauptsache eisgekühlt, es in dich hineinstürzend, wohl wissend, dass es das absolut Falsche ist, was du in dieser Situation tun kannst, denn es kommt zurück.
Es kommt zurück.
Aus all deinen Poren dringt es nach außen, will wieder an die frische Luft und lässt deine in Deutschland erstandene Tropenkleidung patschnass an deinem Körper kleben.
In dieser Situation muss ich immer an die beiden Polizeibeamten denken, die mir im sommerlichen Deutschland einmal halfen, meine beiden ausgebrochenen Pferde wieder einzufangen.
Natürlich hatten sie zuvor die nahe vorbeiführende Eisenbahnlinie Karlsruhe-Frankfurt stoppen lassen und sich dann mit mir gemeinsam- ohne Lasso – daran gemacht, die zwei Freiheitsliebenden wieder einzufangen.
Das ging auch ziemlich flott, der Deutschen Bahn musste ich später nur für drei verspätete IC Züge Ausfallgebühren bezahlen, in welcher Höhe verrate ich hier lieber nicht.
Und nun standen die beiden vor mir, ich sah ihnen den Durst förmlich an, hatten sie doch noch einen langen Dienst-Tag vor sich und ich sah ihnen die Freude über mein Angebot an, doch geschwind mit mir in die Gute Stube zu gehen und etwas zu trinken.
Apfelsaftschorle ist sicher in solchen Situationen das beste Angebot.
Übrigens in Thailand nicht zu haben.
Aber was schweife ich ab.
Mit drei kräftigen Zügen waren ein Liter Apfelsaft und eineinhalb Liter Sprudel hinabgegurgelt.
Und –Sie ahnen es- nur wenige Minuten im Körperinnern auf eine Ausbruchsmöglichkeit lauernd.
In kürzester Zeit sah ich, wie sich das Hellgrün eines Polizistenhemdes in die Farbe tiefdunkelgrün verwandelte.
Ich gab den beiden Herren aus Dankbarkeit über ihr aufopferndes Tun zwei frische Handtücher aus unserer Stallkammer mit, um sicherzustellen, dass es nicht zu einer brutalen Adhäsion zwischen Hemd und Fahrzeuglehne kommen würde.
Und nun stehe ich hier in Thailand, wohlwissend, dass ich in diesem Zustand besser nicht in eine eisgekühlte Tram steigen sollte, wohlwissend, dass man sich so eine Lungenentzündung einhandeln könne.
Zumindest eine Halsentzündung, wenn nicht eine klassische Sommerangina.

Wir entschließen uns, über den Chaopraya zu fliehen.
Wir besitzen Insiderwissen und wissen, wo wir die kühlsten Plätze finden.
Mit dem hoteleigenen Schiff kostenfrei übersetzen, an Bord bekommen wir ein Erfrischungshandtuch gereicht und schon nehmen wir den anscheinend für uns reservierten Platz im Cafe des Marriotts ein.

Da kennt man die Bedürfnisse eines Europäers.
Im Hinblick auf das künstlich erzeugte Klima.

Zwei erholsame Stunden und schon gehts wieder in das städtische Verkehrs- und Hitze- und Einkaufschaos.
Ich kaufe mir zwei spottbillige T-Shirts und trage sie für den Rest des Tages abwechselnd – zum zwischenzeitlichen Antrocknen an meinen Rucksack gepinnt.
Und sollten Sie, geneigter Leser, wissen wollen, was für einen Bangkok-Aufenthalt das Wichtigste ist, so glauben sie mir aus Erfahrung:
Im Rucksack mindestens zwei T-Shirts für die heißen Zeiten des Tages und eine dicke Strickweste plus Schal, um auch mal in einem thailändischen Kaffeehaus eine Stunde zu verbringen.
Eine kühlende Stunde.
Mit Schal und dicker Wollweste sehr gemütlich.