Zufälle gibts.
Man begegnet sich.
Rein zufällig.
Im Freibad.
Man will eigentlich nur ein paar Bahnen schwimmen.
Ein bisschen Sonnenbaden.
Und flugs ist man 41 Jahre miteinander verheiratet.
Von wegen game over.
Dieser Zufall fand bei mir an einem 16. Juni statt.
Auch deshalb leicht zu merken, weil der Tag darauf ein gesetzlicher Feiertag war.
Leider nach der Wiedervereinigung dem 3. Oktober geopfert.

Aber weshalb erzähle ich Ihnen so ausführlich von der Bedeutung dieses 16. Junis?
Für Millionen von Menschen auf dieser Welt ist dieser Tag ohne jede Bedeutung!
Halt, das nehme ich zurück.
Gehen Sie mal an diesem Tag nach Dublin.
Sie werden nicht umhinkommen und die Menschenmassen, sofern sie noch nüchtern sind, nach dem Anlass ihres Feierns fragen.
Falls sie die Antwort auf Grund leichten Lallens und einer deutlichen alkoholischen Fahne nicht richtig verstehen, sei eins schon mal gesagt:
Mit Blumen hat dieser Tag nichts am Hut.
Aber sie haben richtig verstanden.
Der 16. Juni ist in Dublin: Bloomsday.
Bloomsday.
Blume heißt in englisch aber Flower und Flour heißt Mehl.
Aber das alles ist nicht so wichtig.
Damit hat es also nichts zu tun.
Es gibt nur einen weiteren Tag im Jahresverlauf, der für alle Iren der Wichtigste von allen ist:
St. Patricks Day.
Aber da soll bei weitem nicht so viel getrunken werden wie am Bloomsday.
Und andere Sachen sollen auch gemacht werden.
Irgendwelche anstößigen Sachen am Strand von Sandymount.
Zur Not könnte küssen genügen.
Aber so richtig unanständig ist das ja heute nicht mehr.
Sie sollten an diesem Tag auch ein Gorgonzolabrot essen.
Aber kommen sie ja nicht auf die Idee, sich eine Stulle selbst zu belegen.
Nein, das geht überhaupt nicht.
Das Gorgonzolabrot müssen sie bei Davy Byrne’s (21, Duke Street) zu sich nehmen.
Und unbedingt ein Glas Burgunder dazu trinken.
Dieses außergewöhnliche Menü findet sich nur am Bloomsday auf der Speisekarte.
Dann sollten sie unbedingt Zitronenseife bei Sweny’s an Lincoln Place kaufen.
Zuvor haben Sie natürlich zum Frühstück eine leicht angebrannte in Butter gebratene Schweineniere gegessen.
Wo Sie diese kredenzt bekommen, kann ich Ihnen leider auch nicht sagen.

Und dann könnten Sie, nach dem Besuch von vielen, vielen Pubs irgendwann im Custom House an der Liffey eintrudeln, oder eintorkeln.
Das ist dann nicht mehr so wichtig.
Wichtig ist nur, dass Sie diesen 16. Juni, diesen Bloomsday, auf die von mir geschilderte Art und Weise verbracht haben.
Ich bezweifle allerdings, dass ein zufällig zu diesem Zeitpunkt in Dublin anwesender Tourist sich all diesen Torturen hingeben will, zumal über allem die Frage steht:
Warum?
Na, ich sehe schon.
Sie sind kein besonders belesener Mensch.
Der Saufen und Dichten so ohne weiteres unter einen Hut bringt.
Wie das jedem berühmten irischen Schriftsteller problemlos gelang.
Wobei ich mit Dichten natürlich das gesamte schriftstellern einschließe.
16. Juni 1904 ?
Na , immer noch kein Lichtblitz?
James Joyce?
Was, kennen Sie auch nicht?
Also jetzt reicht‘s.

Mit diesem Nichtwissen können Sie in Irland keinen vernünftigen Urlaub verbringen.
Auch wenn Sie mal schnell übers Wochenende mit einem Billigflieger in die irische Hauptstadt gedüst sind, um hier mal ein ordentliches Nachtleben in den unzähligen Pubs zu verbringen.
Natürlich haben Sie sich im Temple Bar Distrikt in einer Billig-Pension eingebucht, die Nacht wollen Sie ja eh nicht im Bett verbringen, da kann Ihnen die nächtliche Ruhestörung piepegal sein.
Aber es kann Ihnen passieren, dass irgendein Einheimischer Ihnen die Geschichte des Bloomsdays versucht zu erklären.
Und da sollten Sie schon über ein bestimmtes Grundwissen verfügen.
Irisch zu verstehen ist eh schon schwer genug und wenn die Zunge einen schweren Schlag aufweist, ist es vorbei mit einem Bildungszugewinn.
Und dabei ist an jeder Straßenecke Bildung sichtbar.
Aber dazu müssen Sie tagsüber, am besten an einem frühen Nachmittag mal durch die Straßen des Temple Bar Distrikts schlendern und den Blick auch einmal vom Kopfsteinpflaster abwenden, dann werden Sie vor dieser Fensterfront des Hotels stehen.
Ihr Kopf ist noch ein wenig schwer, aber legen Sie ihn mal in den Nacken und versuchen Sie das Riesenfresco zu verstehen, zu deuten.
Wenn Sie allerdings sich nur an der Farbe freuen und mit den aufgepinselten Namen nichts, aber rein gar nichts anfangen können, dann sollte Ihnen zu Bewusstsein kommen, dass Sie ein völlig ungebildeter Mensch sind.
Gut, Sie können eine gewisse Trinkfestigkeit vorweisen.
Das müsste für einen Dublin-Kurztrip genügen.
Literarische Bildung kommt in unserem Leben oft zu kurz.

Wir wissen oft nicht, was wichtig ist, was unwichtig ist im Leben, kurz – wo es lang geht.
Da ähneln wir alle ein bisschen dem Odysseus, von dem Sie ja sicher schon gehört haben.
Nun, Odysseus heißt in Irland natürlich ein wenig anders, man nennt ihn hier Ulysses.
Klingt ein bisschen wie der bayrische Überraschungsausruf Oh jesses.
Oh jesses habe ich mindestens dreimal in meinem Leben ausgerufen, als ich mich diesem Buch mit dem angesprochenen Titel widmen wollte.
Ullysses von James Joyce.
Ich wollte mich dieser genialen Literatur völlig hingeben, aber es ist mir jedesmal missglückt.
Vielleicht war ich das erste Mal zu jung, das zweite Mal vielleicht nicht betrunken genug und beim dritten Mal hatte ich noch keinen Schwiegersohn, der aus Irland stammt.
Und der den vierten Leseversuch ausgelöst hat.
Ulysses von James Joyce.
In unserer öffentlichen Bibliothek bekommen Sie den Roman garantiert nur noch in einem äußerst schäbigen Äußeren über die Entleihtheke geschoben.
In Irland steht der Schmöcker im Bücherregal jedes halbwegs gebildeten Haushalts.
Dieser Roman schildert einen einzigen Tag, nämlich jenen besagten 16. Juni 1904, im Leben des Anzeigenaquisiteurs Leopold Bloom und seiner Frau Mary, dem jungen Lehrer Stephen Dedalus und anderen Romanfiguren.

Sie tun an diesem besagten Tag bestimmte Dinge oder erleben all das, was Sie nun an diesem Bloomsday nachgespielt haben.
Hoffentlich nicht so viele unanständige Dinge.
Obwohl ich das Ihnen gönne.
Mir war es bei meinem Besuch in Dublin nicht vergönnt, irgendetwas dergleichen zu erleben, aber auch gar nichts.
War ich doch mit meiner Liebsten im September in Dublin.
Und Bloomsday ist der einzige Feiertag auf der ganzen Welt, der einem Roman gewidmet ist.
Dem Roman Ulysses.
Von James Joyce.
Das vergessen Sie jetzt nie wieder.
Denn das ist kein Zufall mehr, dass Sie in meinem Blog an einem
derartigen Wissensstand teilhaben können.
Nie und nimmer hätten Sie sonst etwas vom Bloomsday erfahren.
Nein, das ist kein Zufall mehr.